"Das Fest der Liebe ist in eine Trauerfeier umgeschlagen, ich bin unendlich traurig". Die 23 Jahre alte Tamara war am Samstag mit drei Freundinnen zur Loveparade nach Duisburg gereist und kam doch nicht auf das Festivalgelände. Wie Tausende andere steckte sie über Stunden in einem Tunnel zum ehemaligen Güterbahnhof fest. "Ohne Flucht- und Ausweichmöglichkeit. Es war die Hölle", so die junge Frau. Die geplante "Wiederauferstehung" der Love-Parade in der Revierstadt endete in einer Tragödie: Mindestens 19 Menschen kamen ums Leben, 342 wurden verletzt, viele davon schwer.
Eine Massenpanik im Tunnel, dem einzigen Zugang zum Gelände am alten Güterbahnhof führte am frühen Samstagabend zu der Katastrophe. Im 21. Jahr ihres Bestehens hatte die Loveparade unter dem Motto "The Art of Love" nach Veranstalterangaben insgesamt rund 1,4 Millionen Menschen in die Revierstadt gezogen. Im vergangenen Jahr hatte die Nachbarstadt Bochum das Spektakel aus Sicherheitsgründen abgesagt. Duisburg sollte ein "Leuchtturm-Event" werden, betonte Loveparade-Geschäftsführer Rainer Schaller noch vor wenigen Wochen. "Aus dem Leuchtturm-Event ist ein Grableuchten-Event" geworden, meinte am späten Samstagabend ein Mitarbeiter des Technischen Hilfswerks am Ort der Katastrophe.
"Das war unverantwortlich"
Sanitäter und Polizeibeamte am Ort des Geschehens rügten nach der Tragödie, dass es nur diesen einen, engen Zugang zum Festivalgelände gab. "Das hätte man so gar nicht stattfinden lassen dürfen", sagte einer der Einsatzkräfte, der seinen Namen nicht nennen wollte. Das Areal, auf dem das "größte Musikereignis der Geschichte der Stadt Duisburg" stattfand, war das brachliegende Gelände des alten Güterbahnhofs. "Das Gelände war viel zu klein für so eine Masse Menschen. Das da was passiert, hätten die Veranstalter wissen müssen. Das war unverantwortlich", so der 24 Jahre alte Björn Wegner aus Münster, langjähriger Teilnehmer der Raveparty.
Die mehreren hunderttausend Technofans, die auf dem Veranstaltungsgelände vor den beiden Bühnen tanzten und sich von der dröhnenden Musik beschallen ließen, bekamen über Stunden nichts von der Katastrophe mit, die sich gegen 17.15 Uhr am Haupteingang des Geländes im Tunnel an der Karl-Lehr-Straße ereignete. "Ich hab erst um 19.00 Uhr eine SMS von meinen Eltern aus Bonn bekommen, dass da bei uns etwas ganz Schreckliches passiert sein müsste", so die 21 Jahre alte Svenja Berg, die an der Seite einer Freundin ihre Tränen über die Katastrophe nicht verstecken kann.
Frau stürzt aus acht oder zehn Metern ab
"Ich bin wütend und traurig zugleich. Das sollte doch hier ein Riesenfest der Freude sein und nun so etwas. Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden", erklärte Mustafa K. aus Velbert. Er war zusammen mit einem Freund ebenfalls im Tunnel, der für so viele junge Menschen zur tödlichen Falle wurde. "Wir haben mitten drin gesteckt in diesem Hexenkessel. Da ging es keinen Zentimeter mehr vorwärts oder zurück und links und rechts waren nur Betonwände. Ein Alptraum", erinnerte sich auch die 19-jährige Nathalie Müller aus Düsseldorf, die mit ansehen musste, wie eine junge Frau aus acht oder zehn Metern Höhe in den Tunnel stürzte. "Ich weiß nicht, ob ich das jemals wieder vergessen kann", so Nathalie.
Die Autobahn A59, die von den Veranstaltern vorsorglich in einem Bereich nahe des Veranstaltungsortes gesperrt worden war, verwandelte sich zwischen 18 und 23 Uhr kurzfristig in ein riesiges Lazarett und in eine Landebahn für Rettungshubschrauber. Nachdem das Ausmaß der Katastrophe klar war, waren innerhalb einer Stunde Notfallseelsorger der evangelischen und katholischen Kirche im Einsatz. Insgesamt waren nach Angaben von Feuerwehr-Sprecher Michael Haupt 50 Notfallseelsorger vor Ort. "Zahlreiche Menschen, die ganz nah an dem schrecklichen Geschehen waren, brauchten einen starken Arm, manche wollten auch nur weinen dürfen", so einer der evangelischen Pfarrer. Gegen 22.00 Uhr waren dann die meisten Verletzten in Krankenhäuser in Duisburg und benachbarte Städte gebracht worden.
Warnung vor schnellen Spekulationen
Nordrhein-Westfalens neuer Innenminister Rolf Jäger (SPD) wollte am Abend der Katastrophe "keine schnellen Spekulationen" über die Ursachen anstellen. An der Zahl der Sicherheitskräfte habe es sicher nicht gelegen, betonte der Politiker vor Ort. Die Staatsanwaltschaft hat nach seinen Worten die Ermittlungen aufgenommen. Das Sicherheitskonzept der Veranstalter komme bestimmt auf den Prüfstand, hieß es aus dem Kreis des Krisenstabs am späten Samstagabend. Der städtische Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe rechtfertigte vor der Presse, dass das Musikspektakel auch nach der Tragödie im Tunnel zunächst weiter lief. Man habe ein weiteres Chaos verhindern müssen.
Dennoch wirkte es gespenstisch, dass sich bis gegen 23.00 Uhr am späten Samstagabend immer noch rund 100.000 Menschen zu den elektrisierenden Beats auf den Love-Parade-Bühnen wiegten und weitermachten, als wäre nichts geschehen. Zur gleichen Zeit sollen Kriminaltechniker in unmittelbarer Nähe mit der Untersuchung der Leichen beschäftigt gewesen sein.