Eine europäische Armee statt nationaler Streitkräfte
Kein europäisches Land zieht mehr allein in den Krieg - gut so. Aber warum gibt es immer noch nationale Streitkräfte? Ernst Elitz schlägt stattdessen eine europäische Armee vor - samt Folklore-Divisionen für Ehrenkompanien bei Staatsbesuchen. Das würde Milliarden sparen.
23.07.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Seit Monaten wird über die Bundeswehr diskutiert. Nun scheint auch Verteidigungsminister zu Guttenberg (CSU) Abschied von der Wehrpflicht nehmen zu wollen. Wie sieht die deutsche Armee der Zukunft aus?

Ernst Elitz: Es ist schon bedenklich, dass erst der Sparzwang im Bundeshaushalt das Nachdenken über eine neue Wehrstruktur befördert. Die Herren in Uniform wollten offenbar immer noch die Kriege von Gestern führen. Aber der Kalte Krieg ist vorbei, und in Afghanistan gibt es einen heißen. In Europa sitzen die deutschen Soldaten mit ihren Kollegen aus anderen Länder gemütlich am Lagerfeuer, während die neuen Herausforderungen sich weltweit stellen, dort, wo die Vereinten Nationen oder die EU militärische Hilfe anforderm. Allein zieht Deutschland glücklicherweise nicht mehr in den Krieg. Deshalb stellt sich auch die Frage, warum die Staaten, die in der EU oder der Nato vereint sind, noch so viel Wert auf nationale Streitkräfte legen. Ich plädiere für eine europäische Armee mit einer militärtechnischen Ausstattung aus einem Guss. Das spart schon mal Milliarden. Für die Ehrenkompanien bei Staatsbesuchen kann jedes Land sich eine Folklore-Division halten, Sarkozy gleich zwei. Und statt einer Wehrpflicht plädiere ich für einen Dienst an der Gesellschaft, den alle jungen Frauen und Männer zu leisten haben. Dann gäbe es anstatt der Wehrpflicht eine Wahlpflicht zwischen sozialem oder militärischem Engagement. Der Dienst für die Gemeinschaft muss wieder gelernt werden in einem Land, im dem mit Pauken und Trompeten der Egoismus gefeiert wird.

evangelisch.de: Angela Merkel macht Urlaub und verbreitet zuvor noch kräftig gute Laune. Ist das angesichts des Zustands von Schwarz-Gelb das berühmte Pfeifen im Walde oder hat die Kanzlerin tatsächlich Grund zur Zuversicht?

Ernst Elitz: Ich glaube die Kanzlerin war in ihrer sommerlichen Pressekonferenz so locker, weil sie hofft, in den Urlaubswochen nicht ständig vom Koalitionsknatsch behelligt zu werden. Ich hoffe mit ihr. Aber ob Seehofer und die Dauerredner in den Fraktionen ihr diesen Gefallen tun, ist zweifelhaft. Das Sommerloch entfaltet bekanntlich eine Sogkraft, der sich gerade die politischen Leichtgewichte nicht entziehen können. Wenn die Wirtschaft sich weiter erholt, könnte der Wähler wieder Vertrauen in seine Kanzlerin fassen. Aber die innenpolitischen Zoff-Themen Gesundheitsreform, AKW-Laufzeiten, die total versiebte Idee der Bildungsrepublik werden durch keine Hitzewelle schachmatt gesetzt. Insoweit wird Angela Merkel sich schon im Herbst auf den nächsten Urlaub freuen dürfen. Die Zuversicht ist ein dürres Pflänzchen. Im Koalitionsgärtlein hackt und jätet jeder, wie er will und wundert sich, dass die Beete keine Früchte tragen.

evangelisch.de: In einem Ferienlager auf Ameland werden 13-jährige Kinder bedrängt und sexuell missbraucht. Die Täter sind kaum älter als die Opfer. Wird unsere Jugend immer brutaler oder ist nur die mediale Aufmerksamkeit gestiegen?

Ernst Elitz: Schon ein Griff ins Bücherregal, Abteilung "Schöne Literatur", belehrt uns, wie brutal es in Heimen und Internaten zugeht. Ich empfehle Robert Musil "Die Verwirrungen des Zögling Törless", für die Freunde der Filmkunst "Mädchen in Uniform" und für die Harry-Potter-Gemeinde einen aufmerksamen Blick auf die erzieherischen Folterrituale in ihren ansonsten kuscheligen Lieblingsromanen. Ich glaube, manch ein Absolvent britischen Internatslebens versteht angesichts der dort üblichen Initiationsriten bis heute nicht, worüber wir uns in Deutschland aufregen. Wie unschuldig waren doch die Schulhofkloppereien der 50er Jahre gemessen an der systematischen Gewalt und Abzockerei, die heute in einigen Problemvierteln herrscht. Auch die Wohlstandsverwahrlosung, die zur offenen Verachtung sozial schlechter gestellter Schüler durch materiell verzogene Mitschüler führt, ist in dieser Krassheit ein Neuzeitphänomen. Dagegen gibt es nur ein Mittel: Sozialarbeiter und Schulpsychologen gehören an jede Schule, Nachgiebigkeit ist ein schlechter Ratgeber, überforderte Elternhäuser müssen ebenso nachdrücklich betreut werden wie die Schüler. Darauf muss sich die Schulpolitik konzentrieren, nicht auf die politischen Spiegelfechtereien um neue Organisationsmodelle, die Lehrer und Eltern nur Nerven kosten und deren Erfolg niemand garantieren kann.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete. Alle seine Drei-Fragen-Kolumnen finden Sie hier auf einen Blick.