Johannes Friedrich: Wir sind eine weltweite Gemeinschaft
Was ist eigentlich ein Lutheraner? Welche Rolle und welche Aufgaben hat der Lutherische Weltbund (LWB), dessen Vollversammlung zurzeit in Stuttgart tagt? Und wie geht es weiter mit der Ökumene? Evangelisch.de hat einen gefragt, der es wissen muss: den bayerischen Landesbischof Johannes Friedrich. Als Chef der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) ist er sozusagen der oberste deutsche Lutheraner. Und natürlich in Stuttgart dabei.
22.07.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Herr Bischof, wenn Sie in Deutschland einen evangelischen Christen fragen, ob er lutherisch oder reformiert ist – würden Sie Ihre Hand dafür ins Feuer legen, dass er auf Anhieb die richtige Antwort weiß?

Friedrich: Nein, die meisten werden sagen, ich bin evangelisch. Das ist in Deutschland besonders schwierig, denn wenn man von einem Bundesland ins andere umzieht, ist man unter Umständen vom Lutheraner zum Reformierten geworden oder umgekehrt. Man kann natürlich sagen, es gibt ein Erkennungsmerkmal: Wenn Du am Sonntag in die Kirche gehst und der Pfarrer trägt ein Beffchen, also eine weiße Schärpe am Hals – wenn das auseinandergeht, ist der Pfarrer Lutheraner, wenn es zusammengebunden ist, ist er reformiert.

evangelisch.de: Das sind natürlich Äußerlichkeiten.

Friedrich: Ja. Aber ich bin froh, dass es viele der früheren Differenzen nicht mehr gibt. Wir haben heute Kanzel- und Abendmahlgemeinschaft, und zwar noch gar nicht so lange. Wir haben sogar eine Annäherung im Verständnis des Abendmahls – das ist vielleicht der größte Unterschied, den es gab. Die Lutheraner sagen: In Brot und Wein ist Leib und Blut Jesu Christi gegenwärtig. Die Reformierten sind von einem reinen Gedächtnismahl ausgegangen. Wir haben eine starke Annäherung, da nun auch die Reformierten von einer gewissen Präsenz Jesu ausgehen.

Echte Gemeinschaft von Kirchen

evangelisch.de: Was ist Ihnen als Lutheraner besonders wichtig?

Friedrich: Dass wir in der ganzen Welt Kirchen haben, mit denen wir in echter Gemeinschaft leben. Das hat keine andere evangelische Denomination in gleicher Weise. Und dass für uns die Ökumene, das Gespräch mit den anderen Konfessionen, an oberster Stelle steht. Das zeichnet uns Lutheraner in ganz besonderer Weise aus.

evangelisch.de: Was würden Sie als die wichtigsten Aufgaben des LWB beschreiben?

Friedrich: Das wichtigste ist, die Gemeinschaft unter den Kirchen zu stärken. Und deutlich zu machen: Wir sind zwar keine weltweite Kirche wie die katholische, aber doch eine weltweite Gemeinschaft, in der wir gemeinsam Gottesdienst feiern können. Deswegen ist diese Vollversammlung so wichtig, wo wir dann auch Dinge besprechen können, bei denen es Differenzen zwischen uns gibt.

evangelisch.de: Unterschiedliche Auffassungen gibt es etwa bei der Frauenordination und der Bewertung der Homosexualität. Welche Rolle spielt das hier in Stuttgart?

Friedrich: Die Ordination von Frauen spielt keine Rolle, da die Haltung des LWB klar ist. Eine Kirche, die die Frauenordination ablehnt, kann nicht Mitglied werden. Wir haben aber Kirchen, die bereits Mitglieder sind und damit Probleme haben. Mit ihnen muss man weiter reden. Das wird sich aber hoffentlich erledigen.

Unterschiedliche Meinungen zu Homosexualität

evangelisch.de: Wie steht es um die Homosexualität?

Friedrich: Das ist schwieriger. Fast alle afrikanischen Kirchen haben große Probleme damit, Homosexualität nicht mehr als Sünde zu bezeichnen. Für uns in Europa und Nordamerika ist völlig klar, dass es nicht Sünde ist. Manche Kirchen segnen homosexuelle Paare und haben auch nichts gegen Pfarrer, deren homosexueller Partner mit im Pfarrhaus lebt. Ich bin der Meinung, dass es dringend notwendig ist, sich hier Zeit zu nehmen. Manche Antworten sind sehr umweltgebunden. Für die afrikanischen Kirchen ist es ganz wichtig, gegenüber ihrer muslimischen Umgebung zu sagen: Für uns ist Homosexualität Sünde – weil das für die Muslime klar ist. Aber die schwedische Kirche, die sich in dieser Frage ganz anders entschieden hat, hätte in ihrem Staat das Traurecht für heterosexuelle Paare entzogen bekommen, wenn sie sich nicht in Richtung Anerkennung homosexueller Paare bewegt hätte ...

evangelisch.de: ... aufgrund der staatlichen Vorgaben?

Friedrich: Genau. Es wäre ein tiefer Einschnitt in der Praxis der Eheschließungen gewesen. Wir müssen sehen, dass in der jeweiligen Gesellschaft die Antwort unterschiedlich sein kann. Und dass man sich gegenseitig auch mit unterschiedlichen Antworten akzeptiert – wenn wir das schaffen würden, wären wir schon sehr weit.

evangelisch.de: Der "liberale" Westen gegen den Traditionalismus in Afrika und Asien – trägt der Lutherische Weltbund auch einen Nord-Süd-Konflikt aus, stellvertretend für den gesamten Globus?

Friedrich: In diesen Fragen schon - wobei ich hoffe, dass es bei uns anders ausgeht als etwa bei den Anglikanern, die sich darüber ganz auseinander gestritten haben. Wir haben einen Prozess des Nachdenkens, der bis 2012 gehen soll. Ich hoffe, dass wir dieses Thema in Stuttgart kurz anschneiden, dass es aber nicht zu einem Auseinanderdriften führt, sondern dass wir beisammen bleiben können.

evangelisch.de: Die Lutheraner bilden innerhalb des Protestantismus mit 70 von 500 Millionen Christen eine kleine Minderheit. Ist das schmerzlich für Sie?

Friedrich: In Deutschland sind wir die ganz große Mehrheit, weil auch in den nicht lutherischen Landeskirchen die allermeisten Menschen Lutheraner sind. Von den Protestanten in der EKD haben drei Viertel lutherische Wurzeln. Weltweit sieht es anders aus, aber der LWB wächst von Jahr zu Jahr. Das ist ein hoffnungsvolles Zeichen, da brauchen wir kein Minderwertigkeitskomplexe zu haben.

Im Namen aller Protestanten

evangelisch.de: Die Lutheraner sind im ökumenischen Dialog mit Katholiken und Orthodoxen vorne dabei. Macht Sie das ein bisschen stolz?

Friedrich: Im Gegensatz zu anderen protestantischen Kirchen haben wir vor allem bei der katholischen Kirche eine Chance, denn sie sagt: Bei euch wissen wir, was eure Bekenntnisgrundlage ist. Bei den unierten Kirchen ist das nicht so deutlich. Wir können mit den Katholiken auch im Namen aller Protestanten in der EKD reden.

evangelisch.de: Ein Fernziel ist das gemeinsame Abendmahl. Beim Ökumenischen Kirchentag in München gab es eine starke Bewegung zu sagen: Lasst uns mit kleinen Schritten anfangen, etwa mit den konfessionsverbindenden Ehen. Wird es da von den Lutheranern eine Initiative geben?

Friedrich: Ich habe mit verschiedenen katholischen Bischöfen darüber geredet und deutlich gemacht, dass das ein Schritt wäre, den man gehen könnte: aus seelsorgerlichen Gründen zu gestatten, dass der nichtkatholische Partner eines konfessionsverschiedenen Ehepaars zur Eucharistie zugelassen wird. Niemand hat bestritten, dass das möglich wäre. Ich bin dagegen, von den katholischen Bischöfen etwas zu fordern, was sie gar nicht geben können. Aber das könnten sie.

Das Reformationsjubiläum ökumenisch begehen

evangelisch.de: Wie ökumenisch kann ein Reformationsjubiläum 2017 sein?

Friedrich: Es muss ökumenisch sein Man kann 500 Jahre nach dem Thesenanschlag in Wittenberg nicht ein Jubiläum nur für uns Protestanten oder Lutheraner feiern. Das halte ich für völlig ausgeschlossen. Alle Kirchen hab sich durch die Reformation verändert - vor allem die römisch-katholische. Sie ist längst nicht mehr jene Kirche, die gegen Luther gekämpft hat. Wir müssen das zum Anlass nehmen zu sagen, wir wollen 2017 wir gemeinsam ein Stück weiter gehen und gemeinsam feiern.

evangelisch.de: Hand aufs Herz: Was hat eine Lutheranerin, ein Lutheraner, was andere Christen nicht haben?

Friedrich: Wir haben das Besondere, dass die Ökumene zu unserem Profil gehört. Die Betonung der Rechtfertigungslehre ist auch bei anderen protestantischen Kirchen, aber es ist ein besonderes lutherisches Merkmal zu sagen: gerechtfertigt vor Gott allein aus Gnade durch den Glauben an Jesus Christus.


Johannes Friedrich (62) ist bayerischer evangelischer Landesbischof und leitender Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).