Wirtschaftlichen Erfolgsmeldungen ist selten zu trauen. Beispiel: In den letzten drei Monaten seien für 100 Bücher 143 E-Books über die virtuelle Ladentheke gegangen, verkündet der Internet-Versender Amazon für den US-Markt. Mit steigender Tendenz - im vergangenen Monat sollen sogar 80 Prozent mehr elektronische als gedruckte Bücher abgesetzt worden sein.
In diesem speziellen Fall scheint eine Richtigstellung angebracht. Amazon hat in Amerika mehr elektronische als gedruckte Bücher verkauft? Das ist unwahr. Wahr ist vielmehr: Das Unternehmen mit Sitz in Seattle wurde mehr E-Books los als gebundene Bücher (Hardcover). Die Zahl der verkauften Taschenbücher floss in den Vergleich einfach nicht ein. Darum hinkt der beträchtlich, denn exakte Absatzzahlen für alle drei Produktgruppen - Hardcover, Taschenbücher, E-Books - bleibt Amazon schuldig. Genauso gut könnte man behaupten, es würde mehr Schokolade verkauft als Obst - und mit Obst ausschließlich Himbeeren meinen.
Eines stimmt: Der Markt boomt. In den USA
Unbestritten boomt der Markt für elektronische Bücher in den Vereinigten Staaten. Von seinem Lesegerät Kindle verkauft Amazon nach eigener Darstellung inzwischen dreimal so viele Exemplare wie noch im vergangenen Jahr. Freilich ging diesem Sprung eine kräftige Preissenkung von 259 Dollar (200 Euro) auf 189 Dollar (146 Euro) voraus.
Die Augenwischerei der halbseidenen Erfolgsmeldung ist ebenso wie die Dumpingpreis-generierten Kindle-Absatzzahlen mit der starken Konkurrenz zu erklären. Der Reader von Sony, das alternative US-Gerät Nook, mehr aber noch der gewaltige Verkaufserfolg des Unterwegscomputers iPad von Apple stellen das angestrebte Monopol von Amazon auf dem elektronischen Buchmarkt ins Abseits.
Auch die große Angst der Buchrechteinhaber vor einer Wiederholung des Musikdesasters seit Beginn des Gratistauschs von Songs im Internet verhindert bislang hierzulande noch immer den Durchbruch des elektronischen Lesens. Und das trotz bestechender Hardware: Die Bildschirme der aktuellen Geräte ermüden die Augen nicht mehr als beim Lesen auf Papier, die Texte sind kommentier- und durchsuchbar, die Akkus halten einen ganzen Urlaub lang ohne Aufladen durch, und ein Reader hat Platz für Hunderte oder gar Tausende Titel.
Hürden auf dem Weg zum papierlosen Lesen
Dennoch wird dem technikaffinen Leser der Zugang zum E-Book nicht wirklich leichtgemacht. Der um die 300 Euro teure Sony Reader, für den die deutschen Verlage etwa über die Verkaufsplattform der Buchhandelskette Thalia viele Topseller anbieten, braucht einen Computer mit Internetzugang und Spezialsoftware. Die lädt das (meist mit einem umständlichen, eine Registrierung erfordernden Verfahren der Firma Adobe kopiergeschützte) papierlose Buch herunter. Dann wird der Reader synchronisiert, erst dann kann es losgehen. Auch für das Aufladen des Akkus braucht es einen PC mit freier USB-Buchse.
Einen komfortablen Onlinezugang hält dagegen der Kindle von Amazon bereit. Er benötigt keinen zusätzlichen Computer, um neuen Lesestoff zu laden, sondern funkt selbst. Aber weil Amazon in Deutschland bisher keinen Mobilfunkanbieter an seiner Seite hat, bleibt das Angebot faktisch auf die rund 350.000 elektronischen Bücher des amerikanischen Amazon-Katalogs sowie US-Zeitungen beschränkt. Stieg Larssons Krimi-Trilogie als E-Book für den Kindle? Fehlanzeige. Und kleinere Gerätehersteller konnten sich bisher schon gar nicht etablieren.
Dazu kommt das Format- und Rechtedurcheinander: Ein einmal gekauftes E-Book ist nicht auf mehreren unterschiedlichen Geräten lesbar, ja noch nicht einmal auf gleichen Gerätetypen verschiedener Nutzer - der Kopierschutz verhindert das. Während die Musikindustrie den Verkauf von Songs im MP3-Format durch den Wegfall des nervigen Kopierschutzes stark ankurbeln konnte, hat ein einmal gekauftes E-Book für den rechtmäßigen Besitzer im Gegensatz zum gedruckten Buch keinen Wiederverkaufswert. Das Ausleihen eines elektronischen Buchs ist ebenso unmöglich.
Geringe Rabatte - oder gar keine
Als größtes Hemmnis aber stellt sich hierzulande die Preisgestaltung dar. In den USA sind die meisten aktuellen Titel bei den großen Verkaufsplattformen für einen Einheitspreis von zehn Dollar erhältlich, auch wenn einzelne Verlage inzwischen einige Dollar Preisaufschlag durchsetzen konnten.
In Deutschland setzen auf der Basis der Buchpreisbindung die Verlage die Preise fest. Gedruckte, elektronische und Hörbücher dürfen sie separat veranschlagen - müssen es aber nicht. Die Wiederverkäufer im Internet müssen sich in jedem Fall daran halten. Aus Angst, mit dem Buch als Datensatz das Kerngeschäft zu kannibalisieren, kosten nicht wenige E-Books so dasselbe wie ihre gedruckten Pendants, und wo die Verlage einen elektronischen Rabatt einräumen, fällt er niedrig aus.
Beispiel: Liegen die Taschenbuchversionen von Larssons Thrillern bei 9,95 Euro, verlangen Thalia, Libreka & Co. für die E-Book-Variante zum sofortigen Download beispielsweise auf den Sony Reader immer noch 8,95 Euro. "Atemschaukel" der Nobelpreisträgerin Herta Müller, gebunden für 19,90 Euro zu haben, kostet für den Reader 16,90 Euro.
Derzeit alles andere als günstig und bequem
Mehr noch: Einer Umfrage des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zufolge werden 40 Prozent der E-Books zum gleichen Preis wie das gedruckte Buch angeboten oder sogar noch teurer. Lediglich urheberrechtsfreie Werke von Goethe, Shakespeare, Kafka, Dickens oder Oscar Wilde sind in einigen Book-Stores oder im Internet beim Projekt Gutenberg auch in Reader-Versionen völlig gratis erhältlich.
Der hohe E-Book-Preis ist manch grundsätzlich wohlwollendem Kunden dann doch zu viel - und widerspricht der Eigenwerbung, die sich bei Thalia so liest: "Das Bestreben ist es, die E-Books in Absprache mit den Verlagen generell günstiger als das gedruckte Buch anzubieten. Für einen Großteil der Titel trifft dies bereits zu. Sie liegen für einen ansehnlichen Teil der Titel im Durchschnitt etwa 20 Prozent unterhalb des Preises für das 'normale' Buch." Heißt dennoch unterm Strich: Die Handhabung ist umständlich, und der Preis ist zu hoch.
Bedrohung für das Kerngeschäft?
"Entwicklungen in der letzten Zeit haben gezeigt, dass Verlage ihr Kerngeschäft mit Hardcovers und Taschenbüchern bedroht sehen, wenn marktstarke Anbieter E-Books zu Dumpingpreisen auf den Markt bringen können", verteidigt Börsenverein-Sprecher Johannes Neufeld die deutsche Buchpreisbindung. Die könne auch nicht für das Downloadprodukt aufgehoben werden: "Ein zweigleisiger Vertrieb für das letztlich gleiche Verlagserzeugnis kann auf Dauer nicht klappen."
Die Gesellschaft für Konsumforschung sagt für E-Books eine dem Hörbuchmarkt vergleichbare Entwicklung voraus. Doch ob diese Prognose tatsächlich eintritt? Das liegt - außer am Buchpreis - "weniger an den Geräten selbst, als am verfügbaren Inhalt", so das Fachmagazin "PC Welt" im vergangenen Jahr. Der obendrein recht rar gestreut ist. Dementsprechend bilanziert der Börsenverein-Hauptgeschäftsführer Alexander Skipis nüchtern: "Der E-Book-Markt ist noch rudimentär. Elektronische Bücher haben keine große Marktrelevanz."
Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de.