Reisezeit ist Hochsaison bei Flughafenseelsorgern
Flughäfen sind Orte menschlicher Schicksale. Abschied und Wiedersehen sorgen für Trauer oder Freude. Und manchmal landen Menschen, die Schlimmes erlebt haben.
21.07.2010
Von Judith Kubitscheck

Auf dem blauen Sofa im Büro von Otto Rapp haben schon viele Menschen geweint. Rapp ist Flughafenseelsorger in Stuttgart. Er weiß: Der Traum einer Traumreise kann schnell zerplatzen. Eine Frau saß völlig fassungslos auf dem Sofa, weil ihr Verlobter sich vor dem Ticketschalter von ihr trennte.

Eigentlich wollte das Pärchen eine romantische Urlaubswoche verbringen. Doch plötzlich bekam der Mann Panik und verließ fluchtartig den Stuttgarter Flughafen. Seine Partnerin ließ er mit den gepackten Koffern stehen.

Warme Kleidung

Auch Weihnachten 2004 vergisst der evangelische Diakon Rapp nicht so schnell: Urlauber, die den Tsunami in Thailand überlebt haben, kommen auf dem Flughafen an. In Badelatschen und T-Shirts landen sie in ihrer winterlichen Heimat.

Der evangelische Seelsorger verteilt kostenlos warme Kleidung und kümmert sich um eine Frau, die ansehen musste, wie ihr Mann von einer Riesenwelle erfasst und an die Wand des Hotels geschleudert wurde. "Solche Erlebnisse sind auch für mich schrecklich", sagt der 60-Jährige, der 1998 die Stuttgarter Flughafenseelsorge gegründet hat.

Keine Hektik

Jetzt tönt eine Frauenstimme durch die Lautsprecher des Stuttgarter Flughafens: "Die Airport-Seelsorge lädt Sie um 12 Uhr zum Mittagsgebet in den Andachtsraum ein". Vor dem Gebetsraum im Terminal drei werden Koffer durch die Flure gezogen, Kinder tollen auf der Spielinsel.

In dem kleinen, hellen Gebetsraum ist von der Hektik nichts zu spüren. Statt des Geräuschpegels in der Flughalle erklingt klassische Musik. Am Eingang liegt ein Gästebuch: "Lieber Gott, beschütze meine Pia", steht auf dem dicken Papier in einer zierlichen Handschrift. "Gott sei Dank, wieder daheim!" hat ein anderer Besucher notiert. Eine Frau schreibt: "Ich darf nach sieben Jahren meine Tochter hier am Flughafen abholen".

Größtes Gemeindehaus der Welt

Otto Rapp zündet im Andachtsraum eine Kerze an und öffnet die Bibel. "Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit", liest der Theologe aus den Psalmen vor. "Nicht nur Reisende, auch Mitarbeiter sammeln ihre Kraft hier", berichtet Rapp. Als Betriebsseelsorger ist er auch für die 9.500 Bediensteten des Flughafens zuständig. "Der Flughafen ist das größte Gemeindehaus der Welt", sagt er lächelnd.

Jeden Tag drehen Otto Rapp oder seine katholische Kollegin, die Franziskanerin Schwester Agnesita Dobler, eine Runde durch den Flughafen, um mit den Flughafenbediensteten ins Gespräch zu kommen. Rapp, der früher Seelsorger für Seeleute war, weiß: "Es ist wichtig, auf Menschen zuzugehen. Die meisten lassen sich gerne ansprechen." Unterstützt werden sie von 34 geschulten Ehrenamtlichen. Sie stehen an einer Theke im Terminal und betreuen Menschen, die Hilfe bei ihrer Reise benötigen.

In zehn deutschen Städten arbeiten insgesamt 13 hauptamtliche evangelische und katholische Flughafen-Seelsorgerinnen und Seelsorger. In Frankfurt ist die 55-jährige Ulrike Johanns Leiterin der Flughafenseelsorge. Der Frankfurt International Airport ist nicht nur der größte Deutschlands, sondern auch der erste deutsche Flughafen der schon 1970 eine Kapelle und eine Seelsorge besaß.

Sehr anstrengend

"Reisende können sehr anstrengend sein, weil sie aufgeregt und unter Zeitdruck sind", sagt Ulrike Johanns. Da werde von den 75.000 Menschen, die auf dem Flughafen arbeiteten, sehr viel Verständnis und Freundlichkeit verlangt. "Aber nicht immer ist ihnen nach einem Lächeln zumute", weiß die Seelsorgerin. "Für diese Bediensteten sind wir die Kirche vor Ort".

Auch um die Menschen, die nicht freiwillig reisen, sondern abgeschoben werden, kümmert sich die Frankfurter Flughafenseelsorge: Jährlich sind das mehrere tausend Flüchtlinge, die keine Aufenthaltsberechtigung in Deutschland besitzen. Eine Abschiebungsbeobachterin überprüft, ob bei der Abschiebung die Menschenrechte eingehalten werden. Mitarbeiter des kirchlichen Flüchtlingsdienstes besuchen Menschen in der Flüchtlingsunterkunft, beraten und begleiten sie.

Kostenloses Essen

Als im April die Vulkanaschewolke über Deutschland waberte, waren alle Mitarbeiter der Frankfurter Flughafenstadt herausgefordert: Sie stellten im Transitbereich Feldbetten auf, unterhielten Kinder und verteilten kostenloses Essen.

Ulrike Johanns bot mit ihrem Team Gottesdienste an, es wurde gebetet und gesungen. "Ein Mann aus Indien hat Kindern, die sich langweilten, auf seinem Laptop stundenlang Filme gezeigt", erinnert sich die Theologin. "Die Atmosphäre war gut, fast wie auf einem Campingplatz".

www.airportchapel.de

epd