Historiker: Hitler-Attentäter gaben Vorbild des Anstands
Mit einer feierlichen Gedenkstunde hat die Bundesregierung an das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944 und den Widerstand gegen das NS-Regime erinnert. Der deutsch-amerikanische Historiker Fritz Stern sagte, die Attentäter hätten ein "Vorbild des Anstands" hinterlasssen.

Der Attentatsversuch habe gezeigt, dass es "in den dunkelsten Zeiten der Diktatur ein anderes, besseres Deutschland gegeben hat", sagte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) am Dienstag in Berlin. Die Verschwörer vom 20. Juli seien Menschen mit Stärken und Schwächen gewesen, aber keine Übermenschen, so der Minister mit Blick auf Kritik an den Widerstandskämpfern, die in den vergangenen Jahren immer wieder laut geworden war. Sie seien fraglos auch heute noch Vorbilder, betonte zu Guttenberg. Dem Schweigen hätten sie Worte und Taten gegenüber gestellt und ihre eigenen Ängste überwunden.

Bundesratspräsident Jens Böhrnsen (SPD) legte an der Gedenktafel im Ehrenhof des Bendlerblocks einen Kranz nieder. Dort waren in der Nacht zum 21. Juli 1944 der Attentäter Claus Schenk Graf von Stauffenberg und vier Mitverschwörer erschossen worden. Heute sind in dem Gebäudekomplex das Verteidigungsministerium und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand untergebracht. Stauffenberg hatte bei einer Lagebesprechung mit Hitler im Führerhauptquartier "Wolfsschanze" eine Bombe explodieren lassen. Hitler überlebte den Anschlag jedoch. Es entstand ein Befehlswirrwarr, in dem der Aufstand zusammenbrach. Gegen die Familienangehörigen der Verschwörer wurde "Sippenhaft" verhängt. Insgesamt wurden im Zusammenhang mit dem Attentat nach Schätzungen 7.000 Menschen verhaftet.

Vorstufe zur Demokratie

Stern würdigte das Attentat vom 20. Juli als einen Aufstand für Befreiung, Recht und menschliche Würde, wie es ihn in Deutschland zuvor nicht gegeben habe. Die Männer vom 20. Juli seien keine Demokraten gewesen, räumte Stern ein. Sie hätten nur die falsch verstandene Erfahrung gekannt, die Demokratie von Weimar habe zu Hitler geführt. Ihre Betonung von Recht und Justiz als Vorstufe zur Demokratie sei aber bis heute überzeugend. Der Aufstand vom 20. Juli sei ein Aufstand des Gewissens gewesen, kein politischer Aufstand, so der Historiker, dessen jüdische Familie 1938 aus Breslau vertrieben wurde und in die USA emigrierte.

An der Gedenkfeier im Bendlerblock nahmen zahlreiche Angehörige und Nachkommen der Widerstandskämpfer teil. Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), betonte, dass das Werk der Widerstandskämpfer nicht vergeblich gewesen sei. Sie hätten ethische Maßstäbe gesetzt. "Jeder Akt der Weigerung und jedes Zeichen der Menschlichkeit verdienen Achtung und Anerkennung." Am Morgen hatten die Gedenkfeierlichkeiten mit einem ökumenischen Gottesdienst in der Gedenkstätte Plötzensee begonnen, wo am Nachmittag Repräsentanten der Verfassungsorgane Kränze niederlegten. In Plötzensee wurden zwischen 1933 und 1945 über 2.500 Menschen hingerichtet. Am Abend sollten 420 Soldaten vor dem Reichstag mit einem feierlichen Gelöbnis vereidigt werden. Daran wollten auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und zu Guttenberg teilnehmen.

Christlichen Glauben in politisches Handeln übertragen

In Stuttgart erinnerte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor dem Weltkongress des Lutherischen Weltbundes an den deutschen Widerstand in der NS-Zeit. Das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 sei auch ein Beispiel für christliche Gewissenspflicht, sagte Schäuble nach einem vorab verbreiteten Redetext. Die Mitglieder der Widerstandsgruppe hätten begriffen, dass die normale bürgerliche Pflicht zur Loyalität gegenüber der Regierung in diesem Fall suspendiert werden musste im Interesse einer Beseitigung der Terrorherrschaft. Auch wenn der Anschlag fehlschlug und die meisten Verschwörer ihr Leben verloren, sei ihr Handeln ein wichtiges Zeugnis dafür, wie christlicher Glauben in aktives politisches Handeln übertragen werden könne.

epd