Lutherischer Weltkongress in Stuttgart eröffnet
Mit einem Appell zur Erneuerung des christlichen Glaubens ist am Dienstag in Stuttgart die 11. Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) eröffnet worden. An dem Treffen nehmen rund 400 Delegierte aus 140 Mitgliedskirchen teil.

Von der Tagung solle ein "Zeichen der Ermutigung und des Vertrauens" in die Kraft der biblischen Botschaft ausgehen, sagte LWB-Präsident Bischof Mark S. Hanson aus dem USA beim Eröffnungsgottesdienst in der Stuttgarter Stiftskirche. Der LWB repräsentiert 70 Millionen Christen in 79 Ländern. Die Lutheraner sind damit nach Katholiken, Orthodoxen und Anglikanern die weltweit viertgrößte christliche Gruppe. An der Konferenz nehmen auch hochrangige Vertreter aus der internationalen Ökumene, der römisch-katholischen, anglikanischen, orthodoxen und reformierten Kirche sowie den Freikirchen teil.

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) erinnerte vor den Delegierten an den deutschen Widerstand in der NS-Zeit. Das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 sei auch ein Beispiel für christliche Gewissenspflicht, sagte Schäuble zum Auftakt der Tagung in der baden-württembergischen Landeshauptstadt laut seinem vorab verbreiteten Redetext. Das Attentat jährte sich am Dienstag zum 66. Mal.

"Schmerzhafte Geschichte"

Schäuble räumte ein, die lutherische Tradition in Deutschland habe lange dazu tendiert, Menschen "eher zu gehorsamen Untertanen denn zu aktiven Bürgern zu formen". Es sei wahrscheinlich kein Zufall, dass die Demokratie zuerst in calvinistisch geprägten Ländern Wurzeln schlug - in den Niederlanden oder den Vereinigten Staaten. "Die Deutschen mussten in einer schmerzhaften Geschichte erst lernen, dass alle Bürger eine gemeinsame Verantwortung für das politische Gemeinwesen tragen", so Schäuble.

Hanson sagte in seiner Eröffnungspredigt: Ein "Rückzug ins Private, um die Sicherheit des Vertrauten zu suchen" sei für Christen keine Option angesichts der Herausforderungen dieser Welt. In dem stimmungsvollen Festgottesdienst wurde zu einer gerechteren Verteilung von Nahrungsmitteln ermahnt: "Wir haben die Mittel, die Welt zu ernähren, tun es aber nicht", wurde in einem Gebet beklagt.

Vergebungsbitte gegenüber Mennoniten

Acht Tage lang wollen sich die Delegierten Fragen wie Klimawandel, Umweltzerstörung oder der Kluft zwischen Arm und Reich stellen. Mit Gästen, Dolmetschern und Journalisten nehmen an der Konferenz rund 1.000 Personen teil, so die Veranstalter. Als ein Höhepunkt der Vollversammlung soll eine Vergebungsbitte des Lutherischen Weltbundes gegenüber der Freikirche der Mennoniten verabschiedet werden. Die Mennoniten sind Nachfahren der christlichen Täuferbewegung, die als "linker Flügel" der Reformation gilt. Deren blutige Verfolgung im 16. Jahrhundert wurde auch mit lutherischer Theologie gerechtfertigt. Die Vergebungsbitte gilt bereits jetzt als kirchenhistorisch bedeutsames Ereignis.

Zum Umgang mit Homosexualität und Frauenordination werden in Stuttgart kontroverse Diskussionen erwartet. Die Themen stehen zwar nicht auf der offiziellen Tagesordnung, können nach Angaben der Veranstalter aber über Arbeitsgruppen eingebracht werden. Vor allem lutherische Christen aus dem Süden der Erde und Osteuropa nehmen etwa zur Segnung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften eine ablehnende Haltung ein, anders als der weitgehend liberale Westen.

"Einladende Gemeinschaft sein"

Hanson sagte, wenn Christen zusammenkommen, solle niemand "wegen ritueller Unreinheit, Geschlecht, gesellschaftlicher Stellung, HIV und Aids, Armut oder Reichtum, Sprache oder Rasse ausgeschlossen werden". Es gehe darum, sich als einladende Gemeinschaft zu präsentieren, die Suchende und Bedürftige nicht wegschicke.

Die bis 27. Juli dauernde LWB-Tagung hat das Thema "Unser tägliches Brot gib uns heute". Gastgeber ist die Evangelische Landeskirche in Württemberg, deren Landesbischof Frank Otfried July den Eröffnungsgottesdienst mit Abendmahl mitgestaltete. In Stuttgart soll auch ein neuer LWB-Präsident gewählt werden. Der palästinensische Bischof Munib A. Younan aus Jerusalem gilt als aussichtsreichster Bewerber für die Nachfolge des amtierenden US-Bischofs Hanson, dessen Amtszeit ausläuft.

Zuletzt 1952 in Deutschland

Die Vollversammlung ist das höchste Entscheidungsgremium des LWB und findet etwa alle sechs Jahre statt, zuletzt 1990 in Brasilien, 1997 in Hongkong und 2003 in Kanada. In Deutschland, dem Mutterland der Reformation, trafen sich die Lutheraner auf Weltebene zuletzt 1952 in Hannover. Deutschland ist nach wie vor das Land mit der höchsten Zahl der in lutherischen Kirchen zusammengeschlossenen Christen, nämlich rund 13 Millionen. Die Gesamtzahl der Lutheraner in Deutschland wird auf deutlich über 20 Millionen geschätzt. Viele von ihnen sind Mitglieder in den unierten Landeskirchen, die im 19. Jahrhundert entstanden.

epd