Turbulentes "Still-Leben" - Millionen beim Autobahnfest
Stille geht eigentlich anders. Für einen Tag sind rund 60 Kilometer Autobahn im Ruhrgebiet zwar für den normalen Verkehr gesperrt. Stattdessen gehen, radeln, essen oder tanzen mehr als zwei Millionen Menschen auf dem Teilstück der A40 zwischen Duisburg und Dortmund. Mehr als doppelt so viele Besucher als erwartet feiern ein "Begegnungsfest der Alltagskulturen". Die Aktion "Still-Leben Ruhrschnellweg" ist einer der Höhepunkte des Kulturstadtjahres im Ruhrgebiet.
18.07.2010
Von Andreas Rehnolt

Auf der Fahrbahnseite, auf der sich Tausende Gruppen, Initiativen, Kirchen, Firmen und Organisationen präsentieren, geht streckenweise nichts mehr. "Fußgänger-Stau auf der A40. Hätte ich nie geglaubt, dass ich das mal erlebe", meint Klaus-Peter Hermes aus Bochum.

Auch der Präses der Evangelischen Kirche von Westfalen, Alfred Buß, kommt bei seiner Visite ins Schwitzen. Gemeinsam mit dem katholischen Bischof Franz-Josef Overbeck vom Bistum Essen und Vertretern anderer Religionsgemeinschaften bringt Buß die rollende Skulptur "Engel der Kulturen" in Bewegung - ein Zeichen des interreligiösen Dialogs. In dem 1,5 Meter hohen Rad befinden sich ein Davidstern, ein Kreuz und ein Halbmond als zentrale Symbole der abrahamitischen Religionen Judentum, Christentum und Islam.

Sichtbar wie ein Kirchturm

Während der "Engel der Kulturen" einige hundert Meter über die Autobahn rollt und immer wieder Menschen zum Staunen bringt, schweben über den zahlreichen Tischen der kirchlichen Gruppen und Organisationen gelbe Ballons, die mit einem schwarzen Kirchturm nebst Kirchturmhahn bedruckt sind. "So wie ein Kirchturm schon von weitem sichtbar ist, wollten auch wir für die Besucher auf der A40 erkennbar sein," erklärt eine Mitarbeiterin der Evangelischen Kirchengemeinde Heidhausen.

Als Renner erweist sich die Idee einer Gruppe aus dem Bistum Essen, die am "Tisch der Religionen" gebackene kleine Kirchen anbieten. Das Gotteshaus mit Kirchturm kommt riesig bei den Besuchern an. "Da sieht man doch, Kirche kriegt trotz aller Mängel auch mal was gebacken", schmunzelt ein 67-jähriger ehemaliger Bergmann.

Auch der Interkulturelle Arbeitskreis Gelsenkirchen ein paar Meter weiter wirbt mit Gebäck: Schwarz-Weiß-Denken sei schlecht, schwarz-weiße Plätzchen dagegen schmeckten gut, erläutert ein Mitarbeiter. Derweil zeigt die Sankt-Suitbertus-Gemeinde Bottrop-Vonderort im Block 45 auf der Autobahn Stadtteil-Fotos, die Kinder der Gemeinde gemacht haben. Die Kinder- und Jugendeinrichtung Arche Noah aus Bottrop, die eigentlich mit ihren Tieren beim Volksfest auf der A40 dabei sein wollte und dies nicht durfte, hat stattdessen tierische Papp-Kameraden aufgebaut.

Werben für Toleranz

Präses Buß und Bischof Overbeck werben vor einem großen Transparent für Respekt, Toleranz und Fairness im Umgang der Religionen miteinander. Der Präses bedauert, dass auch nach 40 Jahren des Zusammenlebens von Christen und Muslimen hier in Deutschland die Menschen immer noch "viel zu wenig von der Religion des jeweils anderen" wüssten. Notwendig sei es, "die friedensstiftenden Elemente der Religionen füreinander einzusetzen."

Zumindest für diesen Tag ist an der der "längsten Tafel der Welt" Toleranz und Gemeinschaftsgefühl zu erleben. Weder das dickste Gedränge noch die wegen Überfüllung gesperrten Zugänge scheinen die ausgelassene Stimmung zu dämpfen. Schließlich sei es ja ein Fest der Begegnung, ist zu hören. Da gehöre ein bisschen Tuchfühlung auch dazu.

epd

Internet: www.ruhr2010.de/still-leben