"Tatort: Das schwarze Grab", 18. Juli, 20.15 im Ersten
Fast ist man versucht, von "Tatort 2.0" zu sprechen: Schaut man sich heutige Krimis aus Leipzig, Stuttgart und Saarbrücken an und ruft sich sodann die betulich inszenierten früheren Fälle der Herren Ehrlicher, Bienzle und Palu in Erinnerung, kann man glatt von einem Quantensprung sprechen. Gerade der jugendliche Saarbrücker Hauptkommissar Franz Kappl erweist sich mit seiner Mischung aus Draufgängertum und Ehrgeiz als Glücksfall; für Darsteller Maximilian Brückner gilt das erst recht. In seinem dritten Fall ist Kappl allerdings eher Spielball des Schicksals als aktiver Ermittler.
Um einem Witwer die Nachricht von der Ermordung seiner Gattin zu überbringen, taucht Kappl 1.200 Meter tief in eine für ihn bis dahin völlig unbekannte Welt ein: Ausgerechnet am Tag ihrer Schließung fährt er in die letzte saarländische Steinkohlegrube hinab. In einem der Stollen findet gerade die offizielle Beerdigung des regionalen Bergbaus statt, ein Staatssekretär hält eine Rede voll verlogenem Pathos, als die Feierlichkeiten explosiv unterbrochen werden: Eine Bombe lässt den Förderkorb abstürzen, der Fahrstuhlschacht ist blockiert. Nun sind alle, Politiker, Musikanten, Steiger und der Kommissar, lebendig begraben. Und wie immer, wenn Menschen in Extremsituationen geraten, offenbaren sie Seiten, die ihnen bis dahin vielleicht sogar selbst völlig unbekannt waren: Die einen werden hysterisch, die anderen aggressiv; und Kappl leidet plötzlich unter Klaustrophobie. Als dann auch noch der Staatssekretär all dem Tumult ermordet wird, muss der unpässliche Polizist gleich zwei Fälle lösen.
Geschickt wechselt das Drehbuch (Thomas Kirchner) immer wieder die Spannungsebenen: Während Kappl der Reihe nach die Eingeschlossenen befragt und nur knapp einem Mordversuch entgeht, sich aber immer wieder auch schlichtend zwischen die Steiger stellen muss, wird die eingeschlossene Gruppe ohne ihr Wissen von einer Methangaswolke bedroht; für die Retter beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Gleichzeitig sucht Kappls Kollege Deininger (Gregor Weber) oberirdisch nach dem Mörder einer Steigergattin. Allerdings sprechen derart viele Indizien gegen ihren Ex-Mann (Dirk Borchardt), dass man den Choleriker alsbald von der Liste der Verdächtigen streicht: Am Tatort wimmelt es von seinen Fingerabdrücken, aber die Tatwaffe, ein Bergmannswerkzeug, ist penibel abgewischt; auch den Sprengstoffanschlag an der Grube will ihm jemand in die Schuhe schieben.
Obwohl Gregor Schnitzler für diesen "Tatort" garantiert kein übermäßig großes Budget zur Verfügung stand, ist ihm nicht zuletzt dank der ausgezeichneten Arbeit von Kameramann Carl Finkbeiner ein Werk gelungen, das richtig teuer aussieht. Die Bilder könnten auch aus einer "Event"-Produktion stammen. Andererseits wird der Film immer wieder zum Kammerspiel in der Grube; Brückner liefert sich mit den Kollegen Adrian Topol und Tobias Oertel (der eine als Ehemann, der andere als Schwager des Opfers) ein packendes Darstellerduell. Deshalb verdrängt man irgendwann auch die Frage, warum sich Kappl überhaupt untertage begibt und nicht einfach wartet, bis die Schicht des Witwers zu Ende ist.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).