"Wer – allzumal als Mitarbeiterin oder Mitarbeiter in Kirche und Diakonie – anderen Menschen seelische oder körperliche Gewalt antut, verstößt gegen Gottes Gebote und pervertiert die gute Nachricht, die wir als Kirche leben und weitersagen wollen", sagte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland.
Klar Stellung zu beziehen, den Missbrauch nicht zu bagatellisieren und stattdessen innerhalb der Kirche transparent aufzuarbeiten, darin zeige sich das evangelische Profil, so der Geistliche beim traditionellen Sommerpressegespräch seiner Landeskirche. Denn nach evangelischem Kirchenverständnis sei die Kirche selbst auch Teil der noch unerlösten Welt, in der eben auch entsetzliche Dinge geschähen.
Als amtierender EKD-Ratsvorsitzender hatte sich Schneider kürzlich mit Männern und Frauen getroffen, die als Heimkinder Opfer von Übergriffen geworden waren. Bei dieser Begegnung sei er zunächst als Pastor gefragt gewesen, denn es gehe darum wahrzunehmen, wie sehr das Leben von Heimkindern durch das Tun Einzelner geprägt und oft genug nachhaltig geschädigt worden sei. Daher, so der Präses, könne er die Opfer nur um Verzeihung bitten.
Begriff "Entschädigung" falsch
Im Hinblick auf Entschädigungszahlen für Missbrauchsopfer stellte Schneider die Position der evangelischen Kirche klar. Jede Lösung müsse von allen Beteiligten am Runden Tisch – gerade auch von den Betroffenen – gemeinsam getragen werden. Bei der Höhe einer finanziellen Beteiligung der Kirchen gebe es allerdings Grenzen aufgrund der kirchlichen Finanzsituation. Der Begriff der Entschädigung sei außerdem falsch gewählt, denn jede finanzielle Zuwendung an Missbrauchsopfer könne nicht für das Leid entschädigen, das ihnen zugefügt wurde. Es gehe vielmehr um eine echte Nothilfe für die Opfer der Gewalt.
Neben materieller Zuwendung stehe vor allem die Würdigung der Lebensgeschichte der Betroffenen im Vordergrund, so der Geistliche. Damit dies gelingt, benötigten die Opfer Zugang zu ihren Akten, die auch Briefe und Beurteilungen enthalten. Leider sind diese häufig aufgrund gesetzlicher Vorschriften vernichtet worden oder in Archiven nur schwer auffindbar. Für den Bereich der rheinischen Kirche seien daher alle Einrichtungen angewiesen, ihre Archive durchzugehen, um bei Nachfragen Betroffenen Einsicht geben zu können, so Schneider weiter. Da jeder Mensch ein Recht darauf hat, seine Lebensgeschichte nachzuvollziehen, sollten die Kirchen gerade bei dieser Art der Identitätsfindung Unterstützung leisten.
57 Betroffene meldeten sich
Für den Umgang mit Opfern sexualisierter Gewalt gibt es in der rheinischen Kirche seit 2003 ein geordnetes Verfahren und eine Anlaufstelle, die Missbrauchsopfern therapeutische und seelsorgliche Hilfe anbietet. Außerdem wird bei Zustimmung der Opfer das Vergehen straf- und disziplinarrechtlich verfolgt. In 20 Fällen wurde im Rahmen dieses Verfahrens auch eine Disziplinarstrafe ausgesprochen, die von einem Verweis bis zur Amtsenthebung reichte. 57 Männer und Frauen hatten sich in den vergangenen Monaten an die landeskirchliche Anlaufstelle gewandt, bei denen die Vergehen straf- und disziplinarrechtlich verjährt waren. Zwei Fünftel von ihnen wurden auf Wunsch weitergehende therapeutische und seelsorgliche Hilfe vermittelt.
Die rheinische Kirche engagiere sich neben der Aufarbeitung der Missbrauchsfälle auch in der Prävention, betonte Petra Bosse-Huber, Schneiders Stellvertreterin als Präses. Sie begrüßte die Einführung des sogenannten erweiterten polizeilichen Führungszeugnisses für Personen, die hauptamtlich in der Jugendarbeit tätig sind. Außerdem habe die Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland beschlossen, dass die rund 10.000 ehrenamtlich Mitarbeitenden in der Kinder- und Jugendarbeit mit Fortbildungen sensibilisiert werden und eine Selbstverpflichtungserklärung abgeben sollten.