Schwarz-Gelb droht der Atom-Krampf
Die Atomsteuer stößt auf Widerstand, die Laufzeitverlängerung sorgt weiter für Streit, und die Opposition droht, den Abschied vom Atomausstieg durch alle Instanzen juristisch zu bekämpfen. All diese Probleme machen das Energie-Thema für Schwarz-Gelb zur Zitterpartie.
11.07.2010
Von Georg Ismar

Einige Koalitionspolitiker sind noch immer verärgert über das jüngste Auftreten von RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz im Umweltausschuss des Bundestags. Überheblich sei der Manager gewesen, er habe Bedenken gegen Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke einfach beiseite gewischt und unverhohlene Drohungen ausgesprochen: Investitionen von 11 bis 12 Milliarden Euro könnten sich die vier führenden Stromkonzerne nicht leisten, falls die Bundesregierung an der Brennelementesteuer festhalte, sagte der Energiemanager.

Aber auch im schwarz-gelben Lager stößt die Steuer, die ab 2011 rund 2,3 Milliarden Euro pro Jahr in die Staatskasse spülen soll, nicht nur auf Gegenliebe. Am Wochenende wetterte Baden-Württembergs Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) indirekt gegen die Atomsteuer - Mappus wäre eine Abgabe, mit der bei längeren Atom-Laufzeiten der Ausbau der erneuerbaren Energien finanziert würde, lieber. Bei einem solchen Fonds für Öko-Energien wären die Konzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall indirekt Nutznießer, weil sie auch massiv in die Erneuerbaren investieren.

Tiefe Risse durch das schwarz-gelbe Lager beim Thema Atomstrom

Mappus' Kritik an der Atomsteuer führte zum Widerspruch in den eigenen Reihen. "Da kann sich Herr Mappus auf den Kopf stellen", sagt der Obmann der Unionsfraktion im Umweltausschuss, Josef Göppel (CSU). Die Brennelementesteuer stehe im Haushaltsentwurf für 2011 und werde so wie geplant kommen.

Mappus, in dessen Bundesland fünf Kernkraftwerke bis zu 60 Prozent zur Deckung des Strombedarfs beitragen, wirft Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) in der Atompolitik insgesamt ein Missmanagement vor, weil Röttgen sich nicht klar zu längeren Laufzeiten bekenne. Mappus schweben bis zu 17 Jahre vor - Röttgen will nur wenige Jahre und verweist darauf, dass ein Großteil der Bürger die Atomkraft ablehnt.

Durch das schwarz-gelbe Lager geht wie bei vielen anderen Themen auch in der Atomfrage ein Riss. Vor der Entscheidung Ende August über die Ausgestaltung der Brennelementesteuer und die Laufzeiten bereiten vor allem fünf Punkte Bauchschmerzen.

Die Atom-Streitpunkte der Koalition

Streitpunkt 1: Soll es neben der Atomsteuer noch eine weitere Zusatzabgabe bei längeren Laufzeiten geben? "Die Brennelementesteuer ist nicht das Ende der Fahnenstange", sagt der umweltpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Michael Kauch. In der Koalition wird ein Modell diskutiert, bei dem die Unternehmen längere Reststrommengen für ihre Meiler - ähnlich wie bei Mobilfunk-Lizenzen - ersteigern müssen. Einflussreiche Politiker wie Mappus wollen eine Überbelastung der Stromwirtschaft aber unbedingt verhindern.

Streitpunkt 2: Ist die Atomsteuer juristisch wasserdicht? Hier gibt es rechtliche Bedenken. Die Anwaltssozietät Clifford Chance hält sie mit EU-Richtlinienvorgaben für nicht vereinbar, weil so Atomstrom einseitig belastet werde. Aus dem Finanzministerium heißt es: "Wir arbeiten an einer gerichtsfesten Lösung." Ende August soll das Kabinett über einen Gesetzentwurf entscheiden. Die Steuer ist größter Einzelposten im 80-Milliarden-Euro-Sparpaket der Regierung.

Streitpunkt 3: Um wie viele Jahre soll die Laufzeit verlängert werden? Hier gibt es einen Dissens zwischen Unions-Fraktionschef Volker Kauder, Wirtschaftsminister Rainer Brüderle - beide sprechen von rund 15 Jahren - und Röttgen. Er ist als Umweltminister auch für die Reaktorsicherheit zuständig und muss die Risiken einer Verlängerung verantworten. Es geht zudem darum, wieviel Atomstrom noch nötig ist - ohne den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu gefährden.

Streitpunkt 4: Einzelfallprüfung oder pauschale Verlängerung? Das in der Einflugschneise zum Münchner Flughafen liegende Kernkraftwerk Isar I gilt bei einigen Experten als nicht ausreichend gesichert gegen Abstürze, die norddeutschen Kraftwerke Krümmel und Brunsbüttel stehen nach Pannen seit 2007 fast ununterbrochen still. Sollen alte AKWs über einen Kamm geschert werden mit sicheren? Das CDU/FDP- regierte Schleswig-Holstein hat gerade die Teilnahme an einer Bund- Länder-Arbeitsgruppe aufgekündigt, in der beraten wird, wie die Reaktoren im Falle längerer Laufzeiten nachgerüstet werden sollen. Kiel will ein Bekenntnis zu einer Einzelfallprüfung, um Risiken zu minimieren.

Streitpunkt 5: Muss der Bundesrat zustimmen? Unions-Fraktionschef Kauder hält es im Gegensatz zum Juristen Röttgen für rechtlich machbar, den Bundesrat zu umgehen. Die Länder haben aber die Atomaufsicht über die jeweiligen Kraftwerke. Sollte die Länderkammer umgegangen werden, drohen SPD und Grüne mit einer Klage. Die Folge: Den Konzernen würde bis zum Votum des Verfassungsgerichts Planungssicherheit fehlen - zudem könnte der Ausstieg aus dem Ausstieg ohnehin 2013 wieder gekippt werden, wenn Schwarz-Gelb eine Mehrheit verfehlt.

Braucht es überhaupt den Ausstieg aus dem Ausstieg?

Unions-Obmann Göppel stellt angesichts der Unwägbarkeiten in Frage, ob es einen derart komplizierten Ausstieg aus dem rot-grünen Atomausstieg mit viel längeren Laufzeiten braucht. Die viel zitierte "Stromlücke" gebe es gar nicht. "Tatsache ist, dass Deutschland im ersten Quartal 6,7 Prozent mehr Strom erzeugt als verbraucht hat."

dpa