Nie wieder Burka: Afghanische Lehrerin in Deutschland
Auch nachdem die Talibanherrschaft in Afghanistan beendet war, legte Najia Najafi die Burka nicht ab. "Jahrelang waren meine Burka und ich unzertrennlich", erinnert sich die Deutschlehrerin aus Kabul, die derzeit als Stipendiatin des Pädagogischen Austauschdienstes an Schulen in Saarbrücken hospitiert und unterrichtet. In einer Zeit totaler Umwälzungen fand sie in dem leuchtend blauen Kleidungsstück, das lediglich die Augen hinter einem Gitter frei lässt, eine Art von Schutz und Sicherheit. Erst seit einer Deutschlandreise vor fünf Jahren wagt sie es, auch in ihrer Heimat unverschleiert zu gehen und ihr Gesicht zu zeigen.
09.07.2010
Von Marlene Grund

Wenn die zierliche Frau mit den dunklen Locken aus ihrem Leben erzählt, kommen die Widersprüche eines Landes zwischen Tradition und Moderne ganz nahe. Bisweilen erscheint sie wie eine Pionierin, ein Paradebeispiel für Fortschritt, Freiheit und Chancen im heutigen Afghanistan. Bisweilen aber auch wie ein Exempel für die Unterdrückungsmechanismen, denen Frauen, auch die gut ausgebildeten, in dem Land am Hindukusch noch immer ausgesetzt sind.

Die Zustimmung des Familienoberhauptes braucht sie trotzdem

"Ich war die erste Frau in unserer Familie mit einem Hochschulabschluss", berichtet Najia Najafi nicht ohne Stolz. In Afghanistan, wo etwa 75 Prozent der Frauen weder lesen noch schreiben können, hat sie auf Bildung gesetzt, will lebenslang lernen, sich weiterbilden, Prüfung nach Prüfung ablegen. Ihre Eltern erlaubten ihr, heiratswillige Bewerber zugunsten des Studiums abzulehnen, auch sie glaubten an die Macht der Bildung. Heute ist sie als Lehrerin an einem renommierten Kabuler Mädchengymnasium die Haupternährerin der großen Familie, respektiert und geachtet.

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Ihr Alltag in der afghanischen Hauptstadt ist aus westlicher Sicht knochenhart. Vor und nach dem Unterricht an der Schule gibt Najia Najafi Deutsch- und Alphabetisierungskurse am Kabuler Goethe-Institut. Sie steht morgens um 4 Uhr auf und kommt nie vor 20 Uhr nach Hause. "Wenn Gäste da sind, muss ich mit ihnen bis Mitternacht zusammensitzen, das verlangt die Höflichkeit", berichtet sie. Und noch immer braucht die 39-Jährige vor jedem Schritt in die Öffentlichkeit die Zustimmung ihres ältesten Bruders, der nach dem Tod des Vaters das Familienoberhaupt ist. Ohne seine Erlaubnis darf sie weder Freundinnen, Empfänge noch Hochzeiten besuchen und schon gar nicht ein Jahr in Deutschland leben. Nicht immer sei er großzügig, sagt sie.

"Hier kann man wirklich leben"

Seit die gläubige Muslimin vor einem halben Jahr ins Saarland kam, lebt sie zum ersten Mal in ihrem Leben allein. Ganz allmählich werden die Vorzüge der neuen Situation stärker als das Gefühl von Fremdheit und Nicht-Aufgehobensein. Sich frei zu bewegen, als Frau alleine in ein Café, ein Kino zu gehen und vor allem, endlich ohne Angst vor den Anschlägen zu leben, die in Kabul tagtäglich drohen. "Hier kann man wirklich leben", nennt sie das.

Vielleicht muss man aus Afghanistan kommen, um im deutschen Schulsystem so viel Lobenswertes zu finden wie Najia Najafi. Den Unterricht hierzulande empfindet sie überwiegend als ungezwungen und beflügelnd. Dass Schüler mit Lehrern diskutieren, auf ihr Recht pochen und auch Mal eine Lippe riskieren, sei in ihrer Heimat unvorstellbar und würde als ausgesprochen respektlos empfunden. "Afghanische Kinder können nicht so frei sprechen oder solche Aufsätze schreiben", stellt sie vergleichend fest. Doch ein bisschen der in Afghanistan üblichen Disziplin täte nach ihrer Auffassung auch deutschen Schülern gut.

Mit dem Lehrergehalt kommt man nicht weit in Afghanistan

In dem Land am Hindukusch, das den Wert der Bildung für die nachwachsende Generation fast Mantra-artig beschwört, setzten die Schulen vor allem auf Gehorsam und stures Auswendiglernen. Nach ihrer Rückkehr hat sich die Lehrerin vorgenommen, vieles von dem umzusetzen, was sie während ihres Studienaufenthaltes in Deutschland als eine von weltweit 22 Stipendiaten kennengelernt hat. Vor allem will sie Fantasie und Kreativität ihrer Schülerinnen viel stärker fördern.

Neben ihrem Unterricht an deutschen Schulen bereitet sich Najia Najafi auf eine wichtige Deutschprüfung vor, eine der Voraussetzungen, um einen besseren und besser bezahlten Job zu bekommen. Allein mit dem Lehrergehalt von durchschnittlich hundert Dollar kommt man in Afghanistan nicht weit, wenn ein Kilo Reis schon fünf Dollar kostet, berichtet sie. Es gibt kaum einen Lehrer, der nicht am Nachmittag Kartoffeln oder Telefonkarten verkauft oder wie sie zusätzlich unterrichtet. Ihre Wünsche für die Zukunft sind einfach: Sicherheit und Frieden für Afghanistan und mehr Freiheit für Frauen. Damit sie nie wieder die Burka braucht.

epd