Wie Vermieter bei Hartz-IV-Wohnungen abzocken
Wenn es an preiswertem Wohnraum mangelt, bieten Vermieter selbst die letzten Bruchbuden an - und bekommen sie auch vermietet. Diese Mieten zahlen unter anderem auch die Jobcenter. Welche Qualität die Wohnungen haben, prüfen sie nicht. Ein Einfallstor für Abzocke, wie das Beispiel Hamburg zeigt.
09.07.2010
Von Ulrich Jonas

Wenn Sigi Andersen (Name geändert) schlafen geht, kriecht die Angst mit ins Bett. Angst, dass die Ratte wiederkommt. "Eine habe ich schon erlegt. Es gibt aber noch eine", sagt der 35-Jährige und zeigt auf ein Loch in der Wand, das dem verhassten Mitbewohner als Einfallstor dient. Andersen wohnt in einem bröckelnden Altbau in Hamburg-Ottensen. Rund 18 Quadratmeter misst die Bruchbude des Arbeitslosen, die nicht einmal eine Heizung hat - dafür aber feuchte Wände und eine kaputte Elektrik. 350 Euro kalt kassierte hier bis vor kurzem die Vermieterin. Nun wurde die Hartz-IV-Behörde aktiv.

Die Behörde habe gegen die Vermieterin, eine Berliner Immobiliengesellschaft, bei Gericht eine Schadenersatzklage eingereicht. Außerdem werde eine Strafanzeige wegen des Verdachts auf Mietwucher vorbereitet, teilte ein beauftragter Rechtsanwalt mit. Der Vermieter wollte dazu keine Stellungnahme abgeben.

Jahrelang haben in Hamburg Hartz-IV-Behörde und Stadt die Verschwendung von Steuergeldern billigend in Kauf genommen. Der Grund ist offenkundig: An preiswertem Wohnraum mangelt es, Hilfeempfänger sind als Mieter unbeliebt. Gute Chancen also für Hausbesitzer, schnelles Geld zu machen nach dem Motto: Für einen Hartz-IV-Empfänger reicht auch ein feuchter Keller.

Der prominenteste unter den bisher bekannten zweifelhaften Vermietern ist das CDU-Mitglied Thorsten Kuhlmann. Rund 360 Wohnungen vermietet seine Grundstücks GmbH an Hartz-IV-Empfänger. Im Oktober 2009 enthüllte das Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt erstmals das "System Kuhlmann": Wohnungen, die auf dem Papier des Mietvertrags teils doppelt so groß waren wie in Wirklichkeit - mit der Folge weit überhöhter Mieten. Ein schimmeliger Keller, der ohne Genehmigung als Wohnraum vermietet wurde. Erst als das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" und weitere Medien den Fall im Februar aufgriffen, stellte das Jobcenter Strafanzeige wegen des Verdachts auf Betrug und Mietwucher. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, die Rechtsanwälte verhandeln. Kuhlmann war für eine Stellungnahme nicht zu erreichen.

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Möglich wird das Abzocken mit überhöhten Mieten durch einen Fehler im System. Zwar haben die Ämter wie überall in Deutschland Mietobergrenzen für Hilfeempfänger definiert. Doch prüfen sie in der Regel nicht, ob die verlangten Mieten der Realität angemessen sind - offenbar ein bundesweit verbreitetes Phänomen: "Die Behörde kontrolliert nur, ob der Betrag stimmt. Wenn dem so ist, wird durchgewinkt", erklärt Werner Hesse, Geschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbands in Berlin. Mehr Kontrollen lehnt er dennoch ab. "Das Ganze muss im Verhältnis bleiben."

Bundesweit könnten vermutlich viele Millionen Euro Steuergelder eingespart werden. "Es gibt in jeder Stadt Vermieter, die für möblierte Hütten horrende Preise kassieren", sagt Harald Thomé, Vorstand des Wuppertaler Vereins Tacheles. Der Regelfall sei, dass die Behörden die Missstände kennen und in Ermangelung von Unterbringungsalternativen sagen: "Was sollen wir dagegen tun?" Im vergangenen Jahr zahlte der Staat 14 Milliarden Euro für Mieten von Hartz-IV-Empfängern. Rund ein Viertel der Kosten trägt der Bund, den Rest übernehmen die Kommunen.

Laut Hamburger Hartz-IV-Behörde ist ihr Vorgehen gegen Abzock-Vermieter bundesweit einzigartig. Welche Wirkungen es für die betroffenen Hilfeempfänger haben wird, ist ungewiss. Manche wehren sich inzwischen mit Hilfe der Mietervereine. Unterstützung benötigen die Betroffenen dringend: In einem Haus haben rund 40 Bewohner die Kündigung erhalten. Zur Begründung heißt es in dem Schreiben des Vermieters, die Fortsetzung des Mietverhältnisses sei für ihn "eine unzumutbare wirtschaftliche Härte".

epd