2008 stammte ein Drittel der Kinder unter zehn Jahren aus Migrantenfamilien. Insgesamt hatten 19 Prozent der Bevölkerung einen Migrationshintergrund. Das sind 15,6 Millionen Menschen, von denen 8,3 Millionen die deutsche Staatsangehörigkeit haben. Fast 40 Prozent von ihnen leben seit mehr als 20 Jahren in Deutschland, so die Zahlen der Integrationsbeauftragten.
In diesem Jahrzehnt werde sich entscheiden, ob der soziale Zusammenhalt langfristig gesichert werden könne, sagte Böhmer. Es sei alarmierend, dass jugendliche Migranten fast doppelt so oft die Schule abbrechen wie Schüler aus deutschen Familien. "Noch kann von Chancengleichheit keine Rede sein", so die Staatsministerin. Sie habe mit der Kultusministerkonferenz vereinbart, eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einzurichten, um die Förderung von Migranten in Kindergärten und Schulen zu verbessern.
Berufsabschluss im Ausland soll leichter anerkannt werden
Als Ursache für den Bildungsrückstand von Migranten nannte Böhmer mangelnde Deutschkenntnisse sowie die soziale Herkunft. Sie sprach sich daher für eine bessere individuelle Förderung sowie für ein verpflichtendes, beitragsfreies letztes Kindergartenjahr aus.
Böhmer kündigte zudem für die zweite Jahreshälfte einen Gesetzentwurf für eine bessere Anerkennung ausländischer Berufsabschlüsse an. Auf dem Arbeitsmarkt gebe es immer noch Diskriminierung von Migranten. Ein junger Migrant brauche im Schnitt 17 Monate, um einen Ausbildungsplatz zu finden. Bei jungen Leuten ohne Migrationshintergrund seien es drei Monate.
Das Armutsrisiko von Migranten ist mehr als doppelt so hoch wie von Deutschen ohne ausländische Abstammung. Migranten-Haushalte habe öfter Einkommen von unter 900 Euro: 18 Prozent gegenüber 13 Prozent bei der Gesamtbevölkerung. Haushalt mit Einkommen über 2.600 Euro im Monat gibt es hingegen bei Migranten deutlich seltener als in der Gesamtbevölkerung. Neben niedrigeren Bildungsabschlüssen und fehlenden Deutschkenntnissen wird im Bericht als Ursache auch genannt, dass Migranten häufig in krisenanfälligen Branchen wie in der Bauwirtschaft oder Gastronomie arbeiten.
Sprache als Schlüssel
Die Innenpolitiker Reinhard Grindel (CDU) und Hartfrid Wolff (FDP) sprachen sich für verpflichtende Angebote im Kindergarten und in der Grundschule aus, um für einen frühen Spracherwerb bei Kindern zu sorgen. Wenn Kinder zu Hause kein Deutsch sprechen könnten, verzögere dies ihren schulischen Erfolg um mindestens zwei Jahre.
Auch die niedersächsische Integrationsministerin Aygül Özkan (CDU) bezeichnete die Sprache als "Schlüssel zur Integration". Eltern mit Migrationshintergrund müsse gezeigt werden, wie attraktiv Kindertagesstätten für ihre Kinder sind. Die Mutterrolle leide darunter nicht. "Gleichzeitig brauchen wir mehr interkulturelle Kompetenz in den Bildungseinrichtungen", forderte Özkan.
"Liste der Versäumnisse"
Der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir nannte den Ausländerbericht eine "Liste der Versäumnisse". Der Erfolg der Fußball-Nationalmannschaft zeige: "Deutschland gewinnt, wenn alle Menschen in unserem Land ihren Talenten entsprechend gefördert werden." Doch allzuoft ende die Karriere von Migranten bei der Anmeldung in der Hauptschule. Der migrationspolitische Sprecher der Grünen, Memet Kilic, kritisierte, dass Böhmer keine konkreten Systemänderungen vorschlage. Das Drei-Klassen-Schulsystem aus dem 19. Jahrhundert sei für die Integration die reinste Katastrophe.
Der Ausländerbericht belege erneut das Versagen der Integrationspolitik von Union, SPD, FDP und Grünen, erklärte die migrationspolitische Sprecherin Linksfraktion, Sevim Dagdelen. In den vergangenen Jahrzehnten sei es nie um echte Teilhabe der Migranten gegangen.
Die SPD-Bildungsexpertin Eva-Maria Stange forderte ein "Bund-Länder-Programm Integration" zur gezielten Förderung von Migrantenkindern. Kitas müssten kostenlos sein und Sprachförderangebote machen. Dazu seien mehr Erzieherinnen mit Migrationshintergrund nötig. Das Menschenrecht auf Bildung müsse endlich auch für Einwanderer gelten, sagte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock: "Wir können uns keine verlorene Generation leisten."