Rücktrittsforderungen gehören zum politischen Einmaleins. In der Regel sind sie nicht ernst zu nehmen. Und es ist auch kaum anzunehmen, dass Gesundheitsminister Philipp Rösler seinen Hut nehmen wird. Politiker haben in der Regel viel Sitzfleisch, Röslers Vorgängerin Ulla Schmidt hat das vorgemacht.
Allein: Rösler hatte großspurig erklärt, wenn er mit einer Gesundheitsreform scheitere, wolle ihn niemand mehr als Minister haben. Was CDU/CSU und FDP nun aber vereinbart haben, kann man durchaus als Scheitern interpretieren.
Mehr Netto vom Brutto war den Wählern versprochen worden, nun bekommen sie das Gegenteil. Der Beitragssatz zur Krankenversicherung steigt, außerdem können die Kassen künftig Zusatzbeiträge verlangen.
Neue Sozialpolitik?
So sieht sie also aus, die Sozialpolitik der aktuellen Regierung. Die Gutverdiener und Selbstständigen, die sich privat versichern können, betrifft das alles nicht. Und auch die Arbeitgeber kommen mit einem blauen Auge davon. Eine letzte Beitragserhöhung wird ihnen nun zugemutet, künftige Kostensteigerungen sollen die Arbeitnehmer mit den Zusatzbeiträgen selbst tragen. Belastet werden die vielen Versicherten mit niedrigen und mittleren Einkommen.
Was Rösler da mitverantwortet, ist eine Rolle rückwärts und kein Schritt nach vorn. Wettbewerb soll über die Zusatzbeiträge geschaffen werden. Der erst mit der letzten Reform eingeführte einheitliche Beitragssatz wird ad absurdum geführt. Künftig wird der Wettbewerb zwischen den Krankenkassen also doch wieder über unterschiedliche Beiträge und nicht über unterschiedliche Leistungen geregelt. So wie früher also, als AOK, Barmer und Co. die Krankenkassenbeiträge noch selbst festlegen konnten. Mit dem feinen Unterschied natürlich, dass der Zusatzbeitrag anders als der prozentuale Beitragssatz nicht mit dem Gehalt ansteigt und Niedrigverdiener ebenso viel zahlen müssen wie Berufsgruppen mit mittlerem Einkommen.
Mehr Bürokratie
Weil das unsozial ist, wird nun ein Sozialausgleich eingeführt, der das genaue Gegenteil von dem ist, was die FDP gern Entbürokratisierung nennt. Liegt der Zusatzbeitrag über zwei Prozent des Bruttolohns, gleicht der Staat aus. Unkomplizierter wird dadurch nichts.
Natürlich ist das Gesundheitswesen ein Sektor, der sich stets wandelt. Es wird immer Reformbedarf geben, und es ist naiv anzunehmen, mit einer Großreform lasse sich auf alle Zeiten alles regeln. Aber was die Regierung abliefert, ist derart uninspiriert, ängstlich und unsozial, dass man das ganze Kabinett am liebsten auf die Intensivstation einweisen würde. Als Kassenpatienten, versteht sich.
Mit wenigen Handgriffen könnte die Regierung mehr erreichen. Sie könnte endlich eine Positivliste einführen, auf der die Medikamente landen, die die Kassen bezahlen müssen. Solche nämlich, die wirklich wirken. Sie könnte außerdem dafür sorgen, dass Apothekerketten auch in Deutschland zugelassen werden und so die Arzneimittelkosten sinken.
Mehr Mut!
Wäre die Regierung wirklich mutig, würde sie aber noch ganz andere Fragen beantworten und handeln. Die Frage nämlich, ob sich ein Land wie Deutschland wirklich eine Zweiklassenmedizin leisten möchte, in der sich Gutverdiener und Beamte mit der Privatversicherung aus der Solidarität mit Niedrigverdienern herauskaufen können.
Bringt dieser Pseudowettbewerb wirklich bessere Leistungen in der Gesundheit? Und wie sieht es mit der weiter vorhandenen Vielzahl der Krankenkassen aus? Brauchen wir viele Kassen mit vielen Verwaltungen, die viel Geld kosten, wirklich für einen Wettbewerb in einem Bereich, in dem Wettbewerb kaum existiert, weil Einnahmen und Ausgaben weitgehend feststehen? Es gibt schließlich nur eine Rentenkasse, und niemand behauptet ernsthaft, wir bekämen alle mehr Rente, gäbe es in dem Sektor nur endlich mehr Wettbewerb und die Wahl zwischen mehreren Rentenanbietern.
Henrik Schmitz ist Redakteur bei evangelisch.de.