Google hat den chinesischen Behörden einen Scheinkompromiss angeboten: Bislang wurden chinesische Nutzer der Website google.cn automatisch zu Googles Dienst in der chinesischen Enklave Hong Kong weitergeleitet, der ungefilterte Suchergebnisse anzeigt. Jetzt müssen die Nutzer lediglich auf einen zusätzlichen Link klicken, um auf den ungefilterten Dienst zu gelangen, der nun über die Website google.co.hk läuft.
Grund ist die gesetzliche Vorgabe, dass Unternehmen Web-Server in China nutzen und dass sie damit einverstanden sein müssen, bestimmte Informationen zu zensieren. Bietet Google also eine Website namens google.cn mit einem einfachen Link an, ist an dieser Website formalrechtlich zunächst nichts auszusetzen – außer China blockiert den Zugriff auf die unzensierten Inhalte bzw. den Link zu google.co.hk.
Googles Salamitaktik
In der Praxis wird Googles Maßnahme für die chinesischen Nutzer keinen Unterschied machen. Sie können nur auf die Internetinhalte zugreifen, die die chinesische Firewall durchlässt. Zensiert werden beispielsweise Informationen zu Tibet, zur Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 oder Wörter wie „Demokratie“. Fraglich ist aber, ob die chinesischen Behörden sich auf Googles Salamitaktik einlassen wollen – und nicht nur die Lizenz nicht mehr verlängern, sondern auch den Dienst in Hong Kong verbieten. Denn die Zensur ist eine genuine Voraussetzung für die Geschäftslizenz.
Vorausgegangen war dem Zensurstreit eine breit angelegte Attacke auf die Google-Server Mitte Dezember. Nach Angaben der "Wall Street Journal" stahlen die Angreifer bei Google nicht nur wichtige Quellcodes, sondern verschafften sich auch Zugang zu anderen Google-Nutzerkonten von ausländischen Journalisten und chinesischen Menschenrechtsaktivisten. Neben Google waren allerdings mindestens 20 weitere große Unternehmen aus den Branchen Internet, Finanzen, Technologie, Medien und Chemie angegriffen worden.
Sitten und Traditionen
Der IT-Sicherheitsanbieter McAfee vermutete die Angreifer aufgrund des überaus geschickten Vorgehens in Regierungs- bzw. Militärkreisen. Die chinesische Regierung stritt allerdings jede Beteiligung ab – und verlangte: "Ausländische Firmen in China müssen die Gesetze unseres Landes befolgen und sich an die Sitten und Traditionen halten."
Google beschloss daraufhin, sich aus dem Chinageschäft nicht zurückzuziehen, jedoch seine Dienste nicht mehr zu zensieren. Hinter Googles Ankündigung, die Zensuranforderung nicht mehr befolgen zu wollen, steht daher nicht nur ein nobles Demokratieverständnis, sondern auch ein massives Sicherheitsproblem.
Politische Komponente
Der Fall hat auch eine politische Komponente: Google will sich chinesischem Recht nicht unterwerfen – und zu Hause in den USA ähnliche harsche Kritik wie die Unternehmen Microsoft und Yahoo einstecken müssen. Yahoo hatte vor Jahren die Identität von Yahoo-Kontoinhabern gegenüber den chinesischen Sicherheitsbehörden enthüllt, die dann prompt inhaftiert wurden. Microsoft war in Kritik geraten, da es einen „optimierten“ Baukasten für die Erstellung von Weblogs angeboten hatte, der Wörter wie „Demokratie“ automatisch ausfilterte. Beide Unternehmen hatten betont, dass sie sich rechtskonform verhalten hatten.
Das „Berkman Center for Internet and Society“ der Universität Harvard schätzt, dass weltweit rund 40 Staaten den Internetzugang beschränken - zu den bekanntesten Ländern zählen neben China der Iran, Kuba und Usbekistan. Der in Weißrussland geborene Wissenschaftler Evgeny Morozov glaubt, dass die neue Internetkommunikationsdienste mindestens zweischneidig sind: Sie helfen Menschen in autoritären Staaten sich zu organisieren und zu mobilisieren, andererseits ermöglicht die neue Technik aber auch repressiven Regimes gegen diese Menschen vorzugehen. Er betont, dass die wachsenden Überwachungsmöglichkeiten moderner autoritärer Staaten von den Informationen in den sozialen Medien profitieren würden, da diese mit neuen und fortgeschrittenen Methoden des Dataminings analysiert werden könnten.
Freiwilliger Verhaltenskodex
Inzwischen gibt es den Versuch, die Prinzipien, die in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgelegt wurden, auch in der Praxis zum Leben zu erwecken. Yahoo und Microsoft haben inzwischen zusammen mit Google einen freiwilligen Verhaltenskodex zur Unterstützung von freier Meinungsäußerung unterzeichnet, den die von vornehmlich von amerikanischen Menschenrechtlern und Wissenschaftlern gegründete„Global Network Initiative“ (GNI) erarbeitet hat. Darin verpflichten sie sich die Privatsphäre und Redefreiheit gemäß Artikel 12 und 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in ihren Diensten zu gewähren und sich politisch wie rechtlich für deren Durchsetzung einzusetzen. Andere Unternehmen haben sich bislang der Initiative nicht angeschlossen. Google ist nun das erste westliche Unternehmen, das tatsächlich einen Teil seines Auslandsgeschäfts aufs Spiel setzt, um sich gegen staatliche Zensur durchzusetzen. Man darf gespannt sein, ob andere Unternehmen folgen.
Christiane Schulzki-Haddouti ist freie Journalistin in Bonn und Expertin für Netzpolitik.