TV-Tipp des Tages: "Meer is nich" (ARD)
Der Film trägt zwar "Meer" im Titel, aber es kommt nur am Rande vor. Denn eigentlich geht es um Vater und Tochter, um Scheitern und Träumen.
02.07.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"Meer is nich", 5. Juli, 22.45 Uhr im Ersten

Ihr Vater hatte einen Traum: Er wollte Brücken bauen. Das hat er auch getan, ein halbes Leben lang. Die zweite Hälfte droht im Stillstand zu enden: Wenn er nicht weiter seinen Traum verwirklichen kann, will er auch nichts anderes machen. Lena hat ebenfalls einen Traum: „irgendwas mit Musik“. Konkreter kann sie’s noch nicht formulieren, aber dem Vater reicht das schon: Er sieht in ihr nicht das eigene Träumen, sondern das eigene Scheitern.

„Meer is nich“ hat Hagen Keller seinen ersten Langfilm genannt. Das Meer kommt konsequenterweise auch nur am Rande vor. Ihre Freundinnen verbringen ihren Urlaub an der Küste, aber Lena will Geld verdienen, denn sie hat jetzt ein Ziel: Schlagzeugerin werden. Keck marschiert sie eines Tages in die Weimarer Musikhochschule, tut so, als studiere sie dort, und ergaunert sich eine Schlagzeugstunde. Der Lehrer ist so beeindruckt, dass er ihr Privatunterricht gibt. Bei der Aufnahmeprüfung aber kneift sie.

Keller erzählt Lenas Geschichte episodisch, was sie enorm authentisch wirken lässt. Das gemeinsame Proben mit den Freundinnen, die Szenen in der Familie, der Krach mit dem Vater, die unübersehbaren, aber lange nicht eingestandenen Gefühle für einen jungen Mann: Der Film lebt von dem Lebensgefühl, das er zeigt; und von den jungen Darstellerinnen. Elinor Lüdde ist eine dieser Entdeckungen, die in anderem Umfeld vielleicht gar nicht so eine eindrucksvolle Wirkung entfalten könnten. Hier aber spielt die junge Thüringerin, beim Bayerischen Filmpreis als beste Nachwuchsschauspielerin ausgezeichnet, derart intensiv, dass sie die Handlung fast mühelos alleine trägt. Natürlich kommt ihr entgegen, dass sie zumindest in Teilen ihre Geschichte spielt. Gleiches gilt für ihre Freundinnen Luise Kehm und Sandra Zänker: Die drei haben zusammen vor fünf Jahren die Band sleazy inc. operated gegründet; die Songs, die sie in „Meer is nich“ darbieten, sind ihre eigenen.

Entsprechend groß ist naturgemäß die Bedeutung der Musik im Film. Dass sich die jungen Darstellerinnen so selbstverständlich neben erfahrenen Schauspielern wie Ulrike Krumbiegel und Thorsten Merten (als Lenas Eltern) profilieren, ist auch eine Folge des musikalischen Konzepts: Es unterstreicht das Lebensgefühl; Keller hat die Musik bewusst als Symbol für Abgrenzung und Verweigerung eingesetzt. Die Lieder widersprechen deutlich dem gängigen Mädchenklischee.

Das hat gleichfalls Methode, schließlich zeigt Keller ähnlich wie Andreas Dresen in „Sommer vorm Balkon“ auch einen anderen Osten: Es mag zwar um soziale Randlagen gehen, aber die Bilder werden nicht von Plattenbauten dominiert, im Gegenteil; manche sonnendurchflutete Einstellung wirkt gar wie eine ironische Reminiszenz an Helmut Kohls geflügeltes Wort von den „blühenden Landschaften“.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).