"Kirchliche Hochzeiten sind nicht einfach nur Show"
Liebespaare zu trauen sollte eine der schönsten Aufgaben von Pfarrern sein, möchte man meinen. Doch vielen Geistlichen ist das Ja-Wort vor dem Altar mittlerweile ein Gräuel: Es ginge nicht mehr um die Religion und die Gefühle, sondern nur darum, eine Märchen-Hochzeit wahr werden zu lassen. Die Bedenken sind unbegründet, sagt Konrad Merzyn.
01.07.2010
Die Fragen stellte Franziska Badenschier

evangelisch.de: Herr Merzyn, bei kirchlichen Trauungen ist die Brautübergabe zunehmend en vogue, oft zum Leidwesen der Pfarrer oder sogar – wie jüngst bei der Hochzeit im schwedischen Königshaus – zum Ärger der Gesellschaft. Will die Braut einfach nur einen Prinzessinnen-Auftritt?

Konrad Merzyn: Sicher nicht. Viele Paare wünschen sich, dass die Braut von ihrem Vater zum Altar geführt und dort an den Bräutigam übergeben wird. Viele Theologen meinen jedoch, dass bei der Brautübergabe die Frau wie ein Stück Vieh zum Altar gebracht wird, obwohl sie doch eine eigenständige Person ist. Deswegen sei die Brautübergabe "vor-emanzipatorisch" und mit evangelischen Grundsätzen nicht zu vereinen. Dabei hat die Brautübergabe für Paare durchaus eine persönliche und religiöse Bedeutung.

Bei einem Paar zum Beispiel, das ich für meine Dissertation interviewt habe, wollte die Braut mit der Übergabe die Ablösung von ihrem Elternhaus symbolisieren. Sie war sehr früh von zu Hause ausgezogen, es gab starke Konflikte in der Familie. Da war es für sie sehr wichtig, dieses Abnabeln Jahre später vor dem kirchlichen Hintergrund noch einmal erlebbar und öffentlich zu machen. Die Paare messen den Ritualen bei der kirchlichen Trauung also ganz eigene Deutungen bei, auch wenn sie historisch möglicherweise abwegig sind und deswegen Pastorinnen und Pastoren nicht begeistern.

evangelisch.de: Dennoch geht es oft pompös zu, wenn Verliebte vor Gott "Ja, ich will" sagen.

Merzyn: Oft besteht ja der Verdacht, die Brautleute hätten zu viele Hollywood-Filme gesehen und wollten diese Art der Inszenierung nachahmen. Natürlich haben Brautpaare mediale Vorbilder, seien es nun Adel- und Promi-Hochzeiten, die TV-Show "Traumhochzeit" aus den 1990er Jahren oder Schmonzetten auf der Kinoleinwand. Doch die sind eher ein Baukasten, aus dem die Paare Elemente auswählen. Andere grenzen sich auch bewusst ab: "Bloß nicht wie im Film", heißt es dann. Letztlich stellen sich alle ihre kirchliche Trauung in einem kreativen Prozess individuell zusammen.

evangelisch.de: Das klingt doch wieder nur nach Spektakel. Wo bleiben da Gott und die Gefühle?

Merzyn: Den Paaren, die vor den Kirchenaltar treten, geht es durchaus um Tiefe und um Inhalte. Mit der Gegenüberstellung "Nur Show" versus "Inhalt und Tiefe" kommt man aber nicht weit. Beides ist ganz eng verzahnt. Das zeigt sich zum Beispiel beim Fotografieren: Kirchenleitungen sagen oft, klickende Kameras gehören hier nicht hin, weil sie stören und nebensächlich seien. Doch für viele Menschen käme es einer Geringschätzung der Hochzeit gleich, wenn nicht geknipst würde, denn heutzutage fotografiert man nun einmal alle bedeutenden Ereignisse. Außerdem muss fotografiert werden, um eine spezielle Öffentlichkeit zu inszenieren.

Das Eheversprechen – immerhin der zentrale Punkt einer Trauung – wird im Erleben der Paare erst dadurch verbindlich, dass man es sich vor anderen Menschen gibt und es dokumentiert. Das habe ich in vielen meiner Interviews gehört. Vor dem Altar wird das Versprechen also religiös aufgeladen. Das wäre so am Frühstückstisch wohl nicht möglich.

evangelisch.de: Und warum trauen sich dann viele Paare erst spät vor den Altar?

Merzyn: In der theologischen Wissenschaft gibt es gegenwärtig viele Stimmen, die sagen: "Eine Trauung ist eigentlich nur noch eine Bestätigung dessen, was das Paar vorher schon hat." Es stimmt schon: Heute wohnen Braut und Bräutigam längst zusammen, haben schon Kinder und ein Haus gebaut – während früher die kirchliche Hochzeit erst den Startpunkt für viele Veränderungen bedeutete. Und doch verändert sich etwas mit der kirchlichen Trauung, auch wenn äußerlich alles gleich bleibt. Zum Beispiel bekommt die Verbindlichkeit eine neue Qualität. Das haben alle Interviewten gesagt, und das habe ich selbst auch so erlebt, als ich 2003 geheiratet habe.

evangelisch.de: Inwieweit empfindet man es dann eher als pro forma, standesamtlich zu heiraten?

Merzyn: Die Interviewten haben es tatsächlich so wahrgenommen, dass die Trauung auf dem Standesamt keine Auswirkung auf sie als Paar hatte. All die rechtlichen Konsequenzen, sei es für den Pflegefall, gemeinsame Kinder oder die Steuervorteile, waren ihnen zwar rational wichtig, berührten aber nicht die Tiefendimensionen ihres Erlebens. Allerdings habe ich auch nur Paare befragt, die von vornherein wussten, dass sie noch evangelisch heiraten werden. Da kann es natürlich sein, dass man schon bei der Planung geneigt ist, der standesamtlichen Trauung kaum Bedeutung beizumessen. Man weiß ja, dass noch etwas anderes kommt.


Konrad Merzyn, Jahrgang 1974, hat selbst mehrere Jahre als Gemeindepfarrer gearbeitet und rund 50 Paare getraut. Für seine Doktorarbeit hat er zehn Ehepaare ausführlich zu ihren Gründen für eine kirchliche Trauung befragt. Das jüngste Paar war Anfang 20, das älteste Paar Mitte 60; manche lebten in der Stadt, andere auf dem Land; mindestens ein Partner war evangelisch. Mittlerweile arbeitet Merzyn als Assistent am Institut für Praktische Theologie der Georg-August-Universität Göttingen.

 


Franziska Badenschier ist freie Wissenschaftsjournalistin und lebt in Dortmund.