Schwarz-Gelb sucht nach dem Abstimmungskrimi bei der Wahl von Bundespräsident Christian Wulff nach einem Rezept für Führungsstärke und besseren Teamgeist. Die CSU verlangt von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mehr Orientierung, die CDU setzt auf besseres Zusammenspiel. Die FDP-Spitze will sich am besten nicht lange mit Ursachenforschung beschäftigen und wie Merkel schnell wieder Sacharbeit machen. Wulff sah sich am Donnerstag seinen neuen Amtssitz an - am Freitag wird das Staatsoberhaupt vereidigt.
SDP und Grüne gegen Linke
SPD und Grüne warfen der Linken am Tag nach der mit rund neun Stunden bisher längsten Bundesversammlung vor, Schuld an der Niederlage des rot-grünen Präsidentschaftskandidaten Joachim Gauck zu sein. Die Linken-Spitze konterte, SPD-Chef Sigmar Gabriel habe Gauck «verheizt». Bei einer Ausgrenzung der Linken gebe es keine Mehrheit für rot-grüne Projekte, sagte Linken-Chef Klaus Ernst dem ZDF.
CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe verlangte mehr Teamgeist von Union und FDP. In einer Koalition sei politische Führung «Mannschaftsspiel», sagte er im ZDF. «Und schon vor der Bundespräsidentenwahl wussten wir alle: Das muss besser werden, dieses Mannschaftsspiel.» Die Union wies Vorwürfe von FDP- Generalsekretär Christian Lindner zurück, die Abweichler seien vorwiegend aus dem CDU/CSU-Lager gekommen. Es bringe nichts, sich nun gegenseitig den Schwarzen Peter zuzuschieben, sagte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
Vizekanzler und FDP-Chef Guido Westerwelle sagte, der Ablauf der Präsidentenwahl belaste die Regierung nicht. «Ich finde, dass die Politik insgesamt, auch die Koalition, sich weniger mit sich selbst beschäftigen sollte, sondern mit der Lösung der Probleme, die wir für unsere Bürger auch lösen müssen.»
Seehofer mahnt stärkere Führung an
Merkel hatte direkt nach der Wahl Wulffs gesagt, sie rechne nicht damit, dass die Regierungsarbeit schwieriger werde. Jetzt komme es darauf an, «dass die Regierung ihre Arbeit macht». CSU-Chef Horst Seehofer mahnte dagegen stärkere Führung in der Koalition an. Union und FDP dürften nicht einfach zur Tagesordnung zurückkehren, es müsse Schluss sein mit «den abstrakten Diskussionen».
Aus den CDU-Landesverbänden kamen Rufe nach Konsequenzen und einer besseren Zusammenarbeit der Koalition. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer (CDU) sagte der «Mitteldeutschen Zeitung» zur Hängepartie bei der Wahl Wulffs: «Das ist eher eine Art Ausrufezeichen und die Aufforderung: Beschäftigt Euch mal mit Euren inneren Problemen!» Sein saarländischer Amtskollege Peter Müller (CDU) appellierte im Saarländischen Rundfunk: «Die Koalitionsparteien in Berlin müssen sich intensiver abstimmen, und auch die Abstimmung im Verhältnis Bund-Länder muss intensiviert werden.»
Wulff war am Mittwochabend erst im dritten Wahlgang gewählt worden. Am Ende bekam Wulff 625 Stimmen - zwei mehr, als für die absolute Mehrheit notwendig, die er in den ersten beiden Wahlgängen gebraucht hätte. Im ersten Durchgang hatten ihm mindestens 44 Wahlleute aus dem schwarz-gelben Lager die Zustimmung verweigert, im zweiten waren es noch mindestens 29. Auch im dritten Wahlgang, in dem die einfache Mehrheit ausreichte, fehlten immer noch 19 Stimmen.
Vorwürfe der Grünen-Chefin
Der langjährige FDP-Fraktionschef Wolfgang Gerhardt sagte im ZDF, die Koalition habe den Neustart verpasst. «Sie ist bis heute nicht in der Lage, ein Management von Themen und Strategien vorzunehmen und das auch an die Bürger rüberzubringen.»
Grünen-Chefin Claudia Roth warf Merkel Respektlosigkeit vor dem Amt des Bundespräsidenten vor. Um ein Signal für Schwarz-Gelb zu erreichen, habe sie das Amt für machttaktische Spielchen funktionalisiert. «Sie hat sich verzockt.» Den Linken warf Roth Politikunfähigkeit vor, da sich ihre Delegierten mehrheitlich enthalten hatten, statt für Gauck zu stimmen. Es werde zwar weiterhin Gespräche mit der Linkspartei geben, doch die Chancen für eine Normalisierung der Beziehungen sei vertan.
Wulff ließ sich am Tag nach seiner Wahl inoffiziell seine neuen Arbeitsräume zeigen. Das neue Staatsoberhaupt wird an diesem Freitag in einer gemeinsamen Sitzung von Bundestag und Bundesrat im Reichstag vereidigt. Anschließend will Wulff dort in einer kurzen Rede die Schwerpunkte seiner Arbeit umreißen. Am Nachmittag wird er von der Bundeswehr mit militärischen Ehren in seinem Amtssitz begrüßt, dem Schloss Bellevue. Am Abend empfängt er bis zu 5000 Gäste aus Politik und Gesellschaft zum Sommerfest des Bundespräsidenten.