Anglikaner streiten weiter um Homosexualität
Transatlantische Spannungen tun sich in der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft auf. Das geistliche Oberhaupt der Anglikaner, Erzbischof Rowan Williams, und Katharine Jefferts Schori, die leitende Bischöfin der anglikanischen US-Episkopalkirche, liegen offensichtlich im Clinch. Streitpunkte sind das Bibelverständnis, die Haltung zu Homosexualität und vor allem das Selbstverständnis der rund 77 Millionen zählenden Gemeinschaft anglikanischer Kirchen.
29.06.2010
Von Konrad Ege

Im Mittelpunkt des Konflikts steht die zwei Millionen Mitglieder zählende Episkopalkirche. Die Anglikaner in den USA sind Vorreiter bei der Ordination von Frauen zum Priester- und Bischofsamt. Auch bei der Anerkennung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften ist die Episkopalkirche liberaler als die anglikanische Kirchen in anderen Ländern. Für diesen Kurs, den Kritiker für nicht mit der Bibel vereinbar halten, erhielten die US-Anglikaner einen aus Sicht von konservativen Kirchenkreisen lange überfälligen Denkzettel.

Auf Weisung von Williams darf der US-Zweig der Anglikaner nicht länger an offiziellen ökumenischen Gesprächen teilnehmen, die zwischen der anglikanischen Gemeinschaft und anderen Konfessionen regelmäßig stattfinden. Denn die Episkopalkirche habe den Beschluss der Gemeinschaft missachtet, keine in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft lebenden Geistlichen zu Bischöfen zu weihen, heißt es zur Begründung. Trotz ausdrücklicher Warnungen konservativer Episkopaler, anglikanischer Bischöfe aus Afrika und selbst von Erzbischof Williams wurde im Mai mit Mary Glasspool eine offen lesbische Pastorin zur Weihbischöfin von Los Angeles geweiht.

Schwule und Lesben auch von Gott geschaffen

Schori hat scharf und öffentlich protestiert. Die Episkopalkirche vertrete die Auffassung, Schwule und Lesben seien "von Gott erschaffen." Dem ökumenischen Dialog diene es nicht, wenn bestimmte Gesprächsteilnehmer ausgeschlossen werden. Überdies könne der Erzbischof von Canterbury anderen Kirchen gegenüber nicht so tun, als gebe es bei den Anglikanern "nur eine Position" zum Thema menschliche Sexualität, argumentierte Schori.

Zu einem in anglikanischen Kreisen viel beachteten Eklat kam es Mitte Juni. In einem Gottesdienst in der Southwark Kathedrale in London musste Katharine Jefferts Schori auf ihre Mitra verzichten - angeblich auf Weisung des "Lambeth Palace", dem Amtssitz des geistlichen Oberhaupts der Kirche von England. Die Mitra ist die traditionelle liturgische Kopfbedeckung der anglikanischen Bischöfe. Die Weisung sei "Unsinn" gewesen und "bizarr", kommentierte Schori. Die Hintergründe des Mitra-Verbotes bleiben undurchsichtig. Schori ist die einzige leitende Bischöfin in der anglikanischen Gemeinschaft und deshalb für traditionalistische Bischöfen ein "rotes Tuch". Derzeit besucht sie die anglikanischen Kirchen in Australien und Neuseeland.

Bisher keine Kirchenspaltung

Entbrannt war der Streit über Homosexualität in der Episkopalkirche bereits 2003. Damals wurde in der Diözese New Hampshire ein in Partnerschaft lebender schwuler Priester zum Bischof gewählt. Traditionalisten warnten vor einer Kirchenspaltung. Ein paar hundert Gemeinden haben sich seitdem abgesetzt, doch die Spaltung sei nicht eingetreten, bilanziert Diana Butler Bass, eine Kennerin der anglikanischen Kirche. Weniger Gemeinden als erwartet hätten sich von der Episkopalkirche losgesagt, in vielen Gemeinden hätten die Spannungen sogar nachgelassen.

Gemessen am Einfluss, den sie einst auf die US-amerikanische Gesellschaft und deren Eliten hatte, ist die Episkopalkirche ohnehin nur noch ein Schatten ihrer selbst. Der anglikanische Glaube breitete sich mit den britischen Kolonisatoren im 17. Jahrhundert in Nordamerika aus. Von den bislang 44 US-Präsidenten seit der Unabhängigkeit war nahezu jeder vierte Anglikaner. Bis in 1970er Jahre - damals gab es noch 3,5 Millionen Anglikaner - galt die Episkopalkirche als Kirche der "Oberen Zehntausend." Wie andere protestantische Kirchen verlor sie seither viele Mitglieder, die sich konservativeren evangelikalen Gemeinden zuwandten.

dpa