Joachim Gaucks einzige Chance: Der dritte Wahlgang
Selten war die Spannung vor der Kür des Bundespräsidenten so groß. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Nicht jedes spätere Staatsoberhaupt wurde bereits im ersten Wahlgang bestimmt. Am Ende gibt möglicherweise die Linkspartei den Ausschlag.

Nur zwei Kandidaten haben eine reelle Siegeschance: Der von Schwarz-Gelb nominierte niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) und der von Rot-Grün ins Rennen geschickte frühere Stasiakten-Beauftragte Joachim Gauck. Wulff ist zwar in der deutlich besseren Ausgangsposition, seine Wahl ist trotzdem alles andere als sicher.

Die Ausgangslage

1244 Wahlleute sind von acht Parteien aufgestellt worden, um das neue Staatsoberhaupt zu wählen. Union und FDP haben zusammen 644 Stimmen und damit 21 mehr als die absolute Mehrheit. Vier FDP-Wahlleute aus Sachsen und Bremen haben bereits angekündigt, für Gauck stimmen zu wollen. Damit ist die Mehrheit faktisch bereits auf 17 Stimmen geschrumpft.

Den Kern des Gauck-Lagers bilden die 462 Wahlleute von SPD und Grünen. Auch die zehn Vertreter der Freien Wähler aus Bayern und die Wahlfrau des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW) haben sich zu Gauck bekannt. Zählt man dann noch die vier abtrünnigen FDP-Wahlleute hinzu, kommt der frühere DDR-Bürgerrechtler auf 477 Stimmen - das sind 146 weniger als die absolute Mehrheit.

Zu keinem der beiden Lager zählen die Wahlleute der Linken (124 Stimmen) und der NPD (drei Stimmen). Beide Parteien haben eigene Kandidaten aufgestellt - die Linke die Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen und die NPD den Liedermacher Frank Rennicke.

Der erste Wahlgang

Trotz der rechnerisch satten Mehrheit gilt die Wahl des Favoriten Wulff im ersten Wahlgang als unklar. Der Kandidat selbst hat gewisse Zweifel eingeräumt, auch wenn er auf Sieg setzt. "Die Unsicherheit bleibt, bis ausgezählt ist", sagt Wulff. Denn die Stimmabgabe ist geheim und ein Fraktionszwang gesetzlich verboten. "Die Mitglieder (der Bundesversammlung) sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden", heißt es im Bundespräsidentenwahlgesetz.

Union und FDP haben sich deshalb schon bei der Nominierung ihrer Wahlleute bemüht, die Unsicherheitsfaktoren möglichst gering zu halten. Dazu gab es am Dienstag und Mittwoch Fraktionssitzungen. In den Ländern wurden deutlich weniger Prominente als sonst ausgewählt. Auch bei Wahlleuten mit Parteibuch wurde auf Linientreue geachtet. So wurde die CDU-Politikerin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Dagmar Schipanski in Thüringen nicht auf die Wahlliste gesetzt - offensichtlich weil sie als Gauck-Sympathisantin gilt.

Der frühere sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) zeigte sich enttäuscht vom Vorgehen seiner Partei: Von der Idee der freien Entscheidung bei der Bundespräsidentenwahl sei "in der Wirklichkeit wenig übrig geblieben". Wie groß die Fraktion der Wackelkandidaten in Union und FDP noch ist, mag niemand so recht abschätzen. Zwar gibt man sich in der Koalition siegessicher. Auf die Frage eines Erfolgs im ersten Wahlgang erhält man allerdings eher zurückhaltende Antworten.

Der zweite Wahlgang

Scheitert Wulff im ersten Anlauf, wird noch einmal unter denselben Bedingungen gewählt: Erneut sind 623 Stimmen für den Einzug ins Schloss Bellevue notwendig. Voraussichtlich wird es eine Unterbrechung der Sitzung geben, in der sich die Wahlleute der einzelnen Parteien zu Beratungen zurückziehen. Die Spitzen von Union und FDP werden versuchen, ihre Reihen zu schließen.

Dass die Linke schon zu diesem Zeitpunkt ihre eigene Kandidatin zurückzieht und die Wahl Gaucks zur Diskussion stellt, gilt als unwahrscheinlich. Der rot-grüne Kandidat wird damit wohl auch in einem zweiten Wahlgang noch keine reelle Chance haben.

Der dritte Wahlgang

Von bisher 13 Bundespräsidentenwahlen wurden nur zwei im dritten Wahlgang entschieden: die von Gustav Heinemann und von Roman Herzog. Sollte es am Mittwoch erneut so weit kommen, werden die Karten neu gemischt. Im dritten Wahlgang reicht die einfache Mehrheit aus: Wer die meisten Stimmen erhält, ist Bundespräsident.

Eine entscheidende Rolle wird dann der Linken zukommen. Sie könnte mit ihren Stimmen Gauck zum Sieg verhelfen und die schwarz-gelbe Koalition ins Wanken bringen. Fraktionschef Gregor Gysi und die Parteispitze haben einer Wahl Gaucks im dritten Wahlgang trotzdem eine Absage erteilt.

Andere prominente Linke wie der frühere Geschäftsführer Dietmar Bartsch sehen das anders. Sie könnten sich sehr wohl vorstellen, die Bundesregierung mit ihrer Stimme in Schwierigkeiten zu bringen. Gysi hat bereits eine längere Beratungssitzung der Linken für den Fall eines dritten Wahlgangs angekündigt - und sich damit eine Hintertür offengelassen.

Das große Zittern

Einer hofft ganz sicher, dass es nicht zu drei Wahlgängen kommt: der Favorit. "Ich wünsche mir, im ersten Wahlgang gewählt zu werden", sagte der niedersächsische Ministerpräsident Anfang der Woche in einem dpa-Gespräch. Damit appellierte er an die Geschlossenheit seiner Gefolgsleute - was auch nötig zu sein scheint. Denn Wulff musste realistischerweise Unwägbarkeiten einräumen: "In Deutschland haben wir kaum geheime Wahlen", sagte er. "Die Auszählung kann Überraschungen enthalten in beide Richtungen."

Vorsorglich warnte der niedersächsische Regierungschef deswegen davor, sein Schicksal mit dem der Koalition zu verknüpfen: "Es gibt auch keinen Grund, Verbindungen zu ziehen zwischen der Wahl eines Bundespräsidenten und der Bundesregierung", sagte Wulff. Er setze auf die Unterstützung aus den eigenen Reihen. "Mir ist nicht ein einziger Wahlmann oder eine Wahlfrau aus CDU/CSU bekannt, die mit meiner Kandidatur Probleme hätten."

dpa/thö