Joachim Gauck: Deutsche Geschichte in einer Person vereint
Als Fünfjähriger erlebte er das Ende des Zweiten Weltkriegs, sein Vater wurde vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet - wenn Joachim Gauck davon spricht, dass Angst und Unfreiheit überwunden werden müssen, weiß er, wovon er spricht.
28.06.2010
Von Barbara Schneider

Mit der Wahl seines Bürositzes ist Joachim Gauck ein kleiner Coup gelungen: Mit dem Dietrich-Bonhoeffer-Haus in Berlin-Mitte geht der Bundespräsidenten-Kandidat von SPD und Grünen an den Ort zurück, an dem 1989 der Zentrale Runde Tisch in der DDR zusammentrat. Gauck, vormals Wortführer der friedlichen Revolution in Rostock und später Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde, unterstreicht mit dieser symbolträchtigen Entscheidung einmal mehr, für welchen Kurs er steht.

Einen Kurs, den der evangelische Theologe in einer Grundsatzrede im Deutschen Theater folgendermaßen umrissen hat: "Ich träume von einem Land, dass sich aus der Unkultur von Angst, Resignation und Tristesse erlösen kann." Immer wieder verweist er auf die friedliche Revolution, auf das "Wir sind das Volk", das er das sächsische "Yes we can" nennt. Biografie und deutsche Geschichte gehen bei Gauck, der das Ende des Zweiten Weltkrieges als Fünfjähriger erlebt hat, Hand in Hand.

Der Kandidat für das höchste Amt im Staat hat die Einschränkung persönlicher Freiheit am eigenen Leib erlebt. 1951 wird sein Vater vom sowjetischen Geheimdienst verhaftet und für vier Jahre in ein Arbeitslager nach Sibirien verschleppt. Das Erlebnis hat seine Haltung zur DDR geprägt. Gauck wird Pastor und wählt damit einen Beruf, der ihn in Distanz zur staatlichen Doktrin leben lässt. In Rostock wird er, der nie einer oppositionellen Gruppe angehört hat, im Herbst 1989 zu einem der Köpfe des kirchlichen und öffentlichen Protests.

Brillanter Redner und Rhetoriker

Gauck ist ein brillanter Redner und Rhetoriker. Einer, der bei dem, was er sagt, überzeugen und mitreißen kann. Für seinen Auftritt im Deutschen Theater, der von einem Unterstützerkreis aus Schauspielern, Schriftstellern und Internet-Aktivisten organisiert worden war, erntete er minutenlangen Applaus. Auch Kurt Biedenkopf, ehemaliger sächsischer Ministerpräsident und CDU-Mitglied, erhob sich nach Gaucks Rede von seinem Sitz.

Der parteilose Gauck ist kein eingefleischter Politiker. Zwar kandidiert er 1990 für das "Bündnis 90" bei der ersten freien DDR-Volkskammerwahl. Als Abgeordneter leitet er später den Parlamentsausschuss zur Kontrolle der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, schließlich wird er zum "Sonderbeauftragten" für die Stasi-Unterlagen berufen.

Nach der Nominierung zum Bundespräsidenten-Kandidaten erhielt Gauck Anfang Juni ein intensives Briefing zum aktuellen Politikbetrieb, sagt sein Sprecher Andreas Schulze. Schulze gehört zum achtköpfigen Team um den ehemaligen Leiter der Behörde für die Stasi-Unterlagen. Rund 20 Termine hat der 70-jährige Gauck in den vergangenen Wochen absolviert: Er hat die Wahlmänner und -frauen im ganzen Land besucht, in seinem Geburtsort Rostock-Evershagen einen Vortrag gehalten und vor der Konrad-Adenauer-Stiftung gesprochen, ein Auftritt, der schon vor der Nominierung in seinem Terminkalender stand.

Breite Unterstützung im Internet

Gauck war in den vergangenen Jahren vor allem als Redner und Vortragsreisender in Deutschland unterwegs. Er referierte beispielsweise über die deutschen Verhältnisse in Ost und West. Themen für den Vorsitzenden des Vereins "Gegen das Vergessen - Für Demokratie" sind allerdings immer wieder auch die Verbrechen der NS-Diktatur und das Demokratiebewusstsein in Deutschland.

Von sich selbst sagt Gauck, er habe "in seinem ganzen Leben kein einziges Mal Facebook aufgemacht". Dennoch hat er im Internet eine breite Unterstützergemeinde gefunden. In dem sozialen Netzwerk "Facebook" etwa hat die Gruppe "Gauck for President" inzwischen über 13.000 Fans (Stand: 28. Juni). Im Vergleich dazu haben rund 3.800 Menschen auf der "Facebook"-Seite des Kandidaten von Union und FDP, Christian Wulff, den "Gefällt mir"-Button gedrückt.

Die Netzgemeinde begleitet regelmäßig die öffentlichen Auftritte des Kandidaten Gauck. Zuletzt posierten über das Internet vernetzte Aktivisten mit "Goal for Gauck"-Plakaten vor dem Deutschen Theater und verteilten Anstecker mit der Forderung "Gebt die Wahl frei". Doch eine direkte Wahl des Bundespräsidenten durch das Volk bleibt vorerst Wunschdenken. Am 30. Juni müssen sich die 1.244 Wahlmänner und -frauen in der Bundesversammlung zwischen Wulff, Gauck und der Linken-Kandidatin Luc Jochimsen entscheiden.

epd