Einzig die für manche Intellektuelle scheinbar reizvolle "Konkurrenz" der Kandidaten weckt das Interesse einiger Autoren. Christian Wulff, der vom schwarz-gelben Lager "ins Rennen" geschickt wird, und SPD-Grünen-Kandidat Joachim Gauck (neben der Linken Luc Jochimsen) erscheinen da in einer Gegensätzlichkeit, die von manchen als "Laufbahn-Politik" oder "rigoroser Moralist" charakterisiert wird.
"Wulff hat eine Laufbahn, Gauck ein Leben", meinte der 84-jährige Autor Erich Loest ("Durch die Erde ein Riss"). Ein schriftstellerndes Staatsoberhaupt, ein wahrer "homme de lettre", wie es der erste Bundespräsident Theodor Heuss noch war, oder einen Verlagsbuchhändler wie Johannes Rau wird es diesmal nicht mehr geben, Joachim Gaucks Berufsziel Journalist/Germanist musste in der DDR zwangsweise einem Theologiestudium weichen, Wulff ist von Hause aus Jurist.
Klare Tendenz für Gauck unter den Haudegen der Zunft
Eine Tendenz für Gauck unter mehreren befragten Autoren ist unverkennbar, die auch gleichzeitig für die Aufhebung des Fraktionszwangs in der Bundesversammlung plädieren. Das tut auch der 82-jährige Grass, weil damit das Vertrauen der Bevölkerung in die Überparteilichkeit des Staatsoberhauptes gestärkt und ein Bundespräsident vermieden werden könnte, der nur durch "parteipolitische Kungelei ins Amt kommt". Grass hatte früher für Willy Brandt und die "EsPeDe" getrommelt, ist aber inzwischen wegen der Asylpolitik aus der SPD ausgetreten.
Es sind vor allem die "alten Haudegen" der Autorenzunft, die sich noch einmal vehement zu Wort melden. (Bild links: Erich Loest (oben links), Rolf Hochhuth (oben rechts), Ralph Giordano (Mitte l.), Günter Grass (Mitte r.), Johano Strasser (unten l.) und Richard David Precht (unten r.) - Foto: dpa.)
So auch Rolf Hochhuth (79), der in Gauck einen Kandidaten sieht, "den die Deutschen wahrlich verdient hätten - er ist ein Mann des Geistes und des Widerstandes, der in der Ostzone ein tatkräftiger Oppositioneller gewesen ist", wie Hochhuth der Nachrichtenagentur dpa sagte.
Auch Ralph Giordano (87) fände einen Fraktionszwang bei der Wahl zum Bundespräsidenten "schlimm", wie er der dpa sagte. Auch für ihn wäre Gauck "der richtige Mann". Er habe sich wie kaum ein anderer bemüht, "dass die schreckliche DDR-Vergangenheit aufgeklärt wird, dass keine Verdrängung einsetzt, wie wir sie nach 1945 nach dem Untergang des Nationalsozialismus erlebt haben". Für Gauck spricht nach Ansicht des Bestseller-Autors Richard David Precht ("Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?") auch, dass das Amt des Staatsoberhauptes an Menschen gehen sollte, "die sich jenseits von Parteipolitik um das Land verdient gemacht haben".
Eine Frage von Rückgrat gegen Parteizwang
PEN-Präsident Johano Strasser sieht bei Gauck eine stärkere "moralische Autorität" als beim niedersächsischen Regierungschef Wulff, der wiederum in das "programmatische Alltagshandeln der Politik" stärker verstrickt sei. Martin Walser (83), äußert sich nicht zu den Kandidaten, sondern nur zum zurückgetretenen Bundespräsidenten Horst Köhler, dem er als "Quereinsteiger" Respekt zollt. "Der geht einfach ... Der erlaubt sich Empfindlichkeit", schrieb der "alte Mann vom Bodensee" in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (FAZ). Köhler sei "für diesen Hickhackbetrieb tatsächlich nicht simpel genug, also einfach zu fein".
Inge Jens ("Frau Thomas Mann") misst der Wahl zum Bundespräsidenten eine richtungsweisende Bedeutung zu. Sie und ihr Mann Walter Jens (der an Demenz erkrankt ist) würden Gauck noch aus DDR-Zeiten und ihren Begegnungen in Berlin kennen, auch als Walter Jens als Akademiepräsident die beiden Akademien der Künste in Ost- und West-Berlin 1993 zusammenführte. "Ich bin gespannt, wieviel Rückgrat unsere Abgeordneten diesmal haben werden", sagte sie der dpa. "Zählen Posten und Parteidisziplin mehr als die persönlich verantwortete Entscheidung, werden die Abgeordneten dem Fraktionszwang folgend abstimmen, also gemäß den machtstrategischen Notwendigkeiten der Kanzlerin, dann Gute Nacht Deutschland."
Ratschläge der Schriftsteller waren nicht immer willkommen in der deutschen Politik. "Ich muss diese Dichter nennen, was sie sind: Banausen und Nichtskönner, die über Dinge urteilen, von denen sie einfach nichts verstehen...Da hört bei mir der Dichter auf, und es fängt der ganz kleine Pinscher an, der in dümmster Weise kläfft", sagte 1965 Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU). Damit meinte er Autoren wie Grass, Hochhuth, Walser, Heinrich Böll und Uwe Johnson. Aber Grass trommelt weiter: "Tretet vor die Tür, stoßt euch Knie und Stirn wund an unserer Realität!", rief er im Wahlkampf im Herbst 2009 seinen Kollegen zu. Im Zusammenhang mit der Finanzkrise wies er damit immer wieder auf die "Skinheads mit Schlips und Kragen" hin, wie sie seiner Meinung nach in Management-Etagen zu finden sind.