Körperwelten: Die Religion, der Körper und die Moral
Die Diskussion darum, wie die Ausstellung plastinierter Leichen moralisch zu bewerten ist, dauert an - so wie jetzt in Offenbach zwischen Christen, Juden, Moslems und Juristen. Dort ist die kommerzielle Leichenschau, die ihren Macher Gunther von Hagens reich gemacht hat, noch bis 29. August zu sehen.
27.06.2010
Von Georg Klein

Um die "Körperwelten"-Ausstellungen von Gunther von Hagens, der menschliche Leichen plastiniert und ausstellt, ist es zwar stiller geworden. Gab es vor einigen Jahren noch Verbotsforderungen und leidenschaftliche Diskussionen darum, scheint das Thema inzwischen kaum noch jemanden aufzuregen. Damit wollen sich aber insbesondere christliche Gemeinden an den Ausstellungsorten nicht abfinden, wie zurzeit in Offenbach.

Dort hat die evangelische Gemeinde mit ihrer Dekanin Eva Reiß ein kritisches Begleitprogramm auf die Beine gestellt, das zur Diskussion über grundlegende moralische Fragen anregen soll. Unter anderem fanden während der Osterfeiertage Mahnwachen für die Toten in der Ausstellung statt, ihrer wurde in Gottesdiensten gedacht. Auch mittels Informationsständen vor der Halle wurde das Gespräch gesucht. Als Abschluss gab es in der vergangenen Woche ein Pressegespräch, zu dem neben einem Anatomieprofessor, einem Anwalt und dem zuständigen Stadtrat auch Vertreter der muslimischen und der jüdischen Gemeinde geladen waren.

"Tote posieren nicht"

Sowohl Fuat Gökcebay, Imam der Yavuz-Selim-Moschee, als auch der Vorstand der jüdischen Gemeinde, Prof. Alfred Jacoby, bezogen einträchtig Stellung. Ein solcher Umgang mit Verstorbenen passe nicht in das Menschenbild ihrer Religionen. Nach jüdischem Brauch kann ein nicht begrabener Leichnam nicht der Auferstehung teilhaft werden, im Islam ist der Körper eines Toten genauso wertvoll wie der eines Lebenden.

Für die Dekanin steht sogar der Versuch mit im Raum, der Sterblichkeit zu trotzen und selbst Gott zu spielen. Horst Werner Korff, Direktor des Instituts für Anatomie der Frankfurter Universität, sieht noch nicht einmal die vielbeschworene Aufklärung zu Lehrzwecken gegeben: "Tote posieren nicht, und sie kommen nicht in bunten Farben daher."

Der Offenbacher Rechtsanwalt Jürgen Wahl schließlich beklagt die Verletzung der Menschenwürde. Auch wenn ein Mensch die Zustimmung gegeben habe, sich plastinieren zu lassen, heiße das noch lange nicht, dass jede Art der Darstellung seines Körpers oder sogar des späteren Handels mit ihm zulässig sei. Gerade in Offenbach, wo - im Gegensatz zu anderen Städten - sogar der Geschlechtsakt frei zugänglich dargestellt wird, stelle sich diese Frage.

Religiöse Fragen?

Man müsse die Testamente der Verstorbenen überprüfen, sagt Anatomieprofessor Korff, an den anwesenden Stadtrat Paul Gerhardt Weiß gerichtet. Viele wüssten gar nicht, was alles mit ihren Körpern geschehen kann, wenn sie ihre Zustimmung zur Plastinierung geben. Stadtrat Weiß hatte zuvor festgestellt, dass schon andere Städte erfolglos versucht hatten, mit rechtlichen Mitteln die Ausstellung zu verhindern oder einzuschränken. Deshalb habe die Stadt keinen Sinn darin gesehen, etwas zu unternehmen.

Die Kirche verliere die Meinungsführerschaft - "welchen Zweck hat es da, sich gegen solche Zeiterscheinungen zu stellen?", fragte ein Journalist. Genau darum gehe es ja, antwortete die Dekanin. Wenn es keinen allgemeingültigen Ethos mehr gebe, müsse man gerade in solchen Fragen mit den Menschen ins Gespräch kommen. Schließlich habe man Antworten zu bieten. Wieder gibt es Zustimmung, auch von den anderen Gemeindevertretern.

Keine Handhabe gegen von Hagens

Gerade hier scheint sich aber die entscheidende Frage zu stellen: Wie ist ein religiös eher ungebundener Besucher der Ausstellung ansprechbar? Im Lauf der Diskussion zeigt sich manchmal so etwas wie Ratlosigkeit im Umgang mit nicht konfessionsgebundenen Betrachtungsweisen. Gegen Ende erzählt Anwalt Wahl von seinem eigenen, beruflichen Besuch als medizinischer Jurist. Als er für sich eine positive Bilanz zieht, weil er in der Konfrontation mit den ausgestellten Körpern das Wesentliche am Menschen als dessen Geist begriffen habe, bleibt dies merkwürdig unwidersprochen.

Ansprechbar ist ein nicht religiöser Besucher vermutlich kaum über traditionelle religiöse Fragen wie die Art der Bestattung oder ob der Mensch Gott spielen wolle und dürfe. Ebenso gering werden die Frage nach der wissenschaftlich korrekten Darstellung und juristische Aspekte sein. Auch der Streit um die tatsächliche oder behauptete freie Entscheidung der Ausgestellten scheint bis jetzt keine größeren Auswirkungen auf den Erfolg zu haben - was auch so bleiben dürfte, solange von Hagens nicht eindeutig Rechtsbruch oder die Verwendung von Hingerichteten aus Diktaturen nachgewiesen werden kann.

Vorstellung des Unbehagens

Ansprechbar scheinen die Menschen eher in ihrem allgemeinen Unbehagen über den Werteverlust unserer Gesellschaft. Alte, auch religiös geprägte Wertvorstellungen verlieren an Sinn und Zusammenhang, werden aber nicht durch andere ersetzt. Statt dessen bleibt eine verwirrende Vielzahl von unterschiedlichen Moralvorstellungen, Einzelinteressen und immer wieder neuen Grenzübertretungen übrig. Das rührt an die tiefe Grundangst vor dem Verlust des eigenen Wertgefühls als Mensch und wird in der Regel mit dem Rückfall in fundamentalistische Positionen oder dem wahllosen "jeder ist sich selbst der Nächste" der Erfolgsgesellschaft beantwortet. Das Unbehagen, dass immer weniger heilig und unantastbar scheint, bleibt.

In diesen Fragen haben die Religionen, im Sinne von Dekanin Reiß, tatsächlich Antworten: Antworten über die Herkunft und den Sinn moralischer Werte, und warum und wie diese aus einer religiösen Überzeugung entstehen können. Wie diese Werte in einer vielfältigen, globalisierten Gesellschaft erneuert, angepasst und verbindlich gemacht werden können, kann aber nur gemeinsam im Dialog festgelegt werden - zwischen den bestehenden Religionen, aber auch im undogmatischen Gespräch über Grundwerte ohne konfessionelle Bindungen. Vielleicht ist eine Veranstaltung wie die in Offenbach somit ein Schritt in die richtige Richtung.


Georg Klein lebt und arbeitet als freier Autor in Offenbach.