Can't Beat It: Auf der Suche nach der Größe des Michael Jackson
Ein Jahr nach seinem Tod ist Michael Jackson noch immer der King of Pop. Das Geschäft mit dem Verstorbenen floriert, die Faszination scheint ungebrochen. Warum eigentlich? Eine Spurensuche.
25.06.2010
Von Jörn Schlüter

In den Medien geht es anlässlich des ersten Todestages des King of Pop vor allem um eins: den posthumen Geldfluss. Eine Milliarde Dollar sind angeblich durch Musikverkäufe und an der Kinokasse hereingekommen, rekordverdächtig. Nicht einmal Ex-Schwiegervater Elvis hat das geschafft, aber das war ja auch eine andere Zeit. Jackson bleibt zudem auch in den nächsten Jahren ein Aktivposten. Von zehn neuen Alben in den nächsten Jahren ist die Rede – Hitsammlungen, Reste, vielleicht ein Remaster. Das Comeback, das eigentlich auf einer Londoner Bühne stattfinden sollte, findet direkt an den Kassen statt, der Tote bleibt im Sarg.

Der anhaltende Mega-Erfolg ist doch eigentlich seltsam. Im Gegensatz zu anderen legendären Toten der Musikhistorie ist Jackson nicht das Sprachrohr einer Generation gewesen, hat keinen Zeitgeist vertont und stand keiner Gegenkultur vor – das ist eigentlich eine Voraussetzung, um in der Popwelt legendär zu werden. Elvis machte den Rock'n'Roll massenfähig, die Beatles den Beat, Cobain den Grunge. Und Jackson? Die Popmusik der achtziger Jahre, dessen unumstrittener Regent er war, hatte nicht viel mit seinem Werk gemein, und eine Revolution hat er auch nicht angezettelt. Deshalb hat man Mühe damit, Jackson einen Platz bei den anderen Ikonen der Pop- und Rockmusik zuzubilligen. Jackson war kein Anführer, er lief allein. You are not alone? Oh doch.

Die zeitlose Aura des Ausnahmekünstlers

Mit der Hilfe von Quincy Jones hatte er die beiden Superalben "Thriller" und "Bad" produziert und einen eigenen Standard gesetzt, an dem nur er selbst scheitern konnte. In dieser Musik kommen Disco und Soul zusammen, irgendwie, man kann die Genres nicht eindeutig ausmachen. Das ist ja das Faszinierende an diesem Werk: Man hört den elaborierten Jazz-Funk des Produzenten, hört die üblichen R&B-Schnulzen und den Disco-Fox. Aber Jackson macht sich das Material zu eigen, färbt es ein und verleiht ihm eine zeitlose Aura. Wirklich altmodisch oder unzeitgemäß sind diese Lieder nie geworden.

Jacksons Genie hat keinen unmittelbaren Kontext – es kommt nur aus dem Künstler selbst. Deshalb sagen die Millionen im letzten Jahr verkauften Platten über Michael Jackson vor allem eines: dass er ein Ausnahmekünstler war. Der Mann, der "Beat It" und "Billy Jean" sang. Der Mann, der den Moonwalk zum Ereignis machte. Der Mann, der das moderne Musikvideo erfand. Ein exzellenter Sänger und Tänzer mit einem beeindruckenden Willen zur Einzigartigkeit. Jackson war ein Sonderling, der einen Sonderweg ging, bis zum Schluss. Da spiegelt sich das Einsame, irgendwie Unreale dieses Menschen wider, der nur sich selbst als Referenzpunkt zu haben schien, im Leben wie in der Musik.

Erst medial gerichtet, dann geheiligt

Jacksons Alleingang hatte positive Nebeneffekte. Dass der Verstorbene gelegentlich zum Heiligen stilisiert wurde, zum Volksversöhner und Friedensbringer – geschenkt. Die Überhöhung war nicht zuletzt der Versuch einer Wiedergutmachung, die kollektive Buße für die dem Tod vorangegangene, quälend langsame mediale Hinrichtung. Streicht man die Übertreibung weg, bleibt Jacksons Verdienst für die schwarze Musik der USA, der er eine Bresche schlug. Doch, doch: Ein bisschen schrumpfte der Graben zwischen Schwarz und Weiß nach "Thriller" zusammen.

Dass sich zudem mancher Protagonist des modernen US-amerikanischen R&B auf Jackson beruft, belegt eine Spätfolge dieser Karriere. Die Stakkato-Beats von "They Don't Care About Us", die ultra-pointierten Phrasierungen von "Wanna Be Starting Something" – Stilelemente, die zweieinhalb Dekaden später zum guten Ton gehören.

Kaufen wir weiter Platten von Michael Jackson. Es ist gute Musik darauf.


Jörn Schlüter ist freier Autor in Bremen und schreibt unter anderem für den Rolling Stone.