Sterbehilfe: Bundesgerichtshof stärkt Recht von Patienten
Der Bundesgerichtshof hat einen Anwalt freigesprochen, der einer Mandantin geraten hatte, deren im Wachkoma liegende Mutter von lebensrettenden Maßnahmen zu entbinden. Der Anwalt war wegen Totschlag angeklagt worden.

In einem Grundsatzurteil hat der Bundesgerichtshof den Abbruch lebensverlängernder medizinischer Maßnahmen als passive Sterbehilfe für zulässig erklärt. Die Behandlung von unheilbar erkrankten und selbst nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten dürfe jederzeit abgebrochen werden, wenn der Patient dies zuvor so geäußert oder veranlasst habe, entschieden die Richter am Freitag in Karlsruhe (AZ: 2 StR 454/09). Dieser Behandlungsabbruch entspreche keiner Tötung auf Verlangen. Das Urteil wurde von der Bundesregierung, den Parteien und der evangelischen Kirche einhellig begrüßt. Die Deutsche Hospiz-Stiftung und der Marburger Bund reagierten hingegen skeptisch.

In dem Verfahren wurde der Münchner Anwalt Wolfgang Putz vom Vorwurf des versuchten Totschlags und aktiver Sterbehilfe freigesprochen. Der Abbruch von lebenserhaltenden Maßnahmen könne straffrei geschehen, "auch unabhängig vom Eintritt der finalen Sterbephase", sagte die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing van Saan.

Landgericht verurteilte Anwalt

Der angeklagte Anwalt Putz hatte im Dezember 2007 seiner Mandantin geraten, dass sie bei ihrer todkranken, im Wachkoma liegenden Mutter den Schlauch der Magensonde durchschneiden soll. Erika K. hatte Jahre zuvor ihrer Tochter gesagt, dass sie keine lebensverlängernden Maßnahmen wolle, wenn sie nicht mehr selbst entscheiden könne. Gegen den Willen des Pflegeheims durchschnitt die Tochter den Schlauch der Magensonde. Die Mutter wurde in ein Krankenhaus überwiesen und starb dort zwei Wochen später.

Putz war vom Landgericht Fulda im April vergangenen Jahres wegen versuchten Totschlags "durch aktives Tun" zu einer neunmonatigen Bewährungsstrafe und einer Geldstrafe von 20.000 Euro verurteilt worden. Die Tochter wurde freigesprochen, da sie im Glauben war, rechtmäßig gehandelt zu haben.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) begrüßte das Urteil. Die Entscheidung schaffe Rechtssicherheit, sagte die Ministerin in Berlin. "Der freiverantwortlich gefasste Wille des Menschen muss in allen Lebenslagen beachtet werden", erklärte Leutheusser-Schnarrenberger. Es gebe keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Menschen. Das Verfahren mache auch die Bedeutung von Patientenverfügungen deutlich.

EKD: Gezielte Tötung nicht vertretbar

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) kam zu einer ähnlichen Einschätzung. Nach Auffassung der christlichen Ethik gebe es keine Verpflichtung zur Lebensverlängerung um jeden Preis und auch kein ethisches Gebot, die therapeutischen Möglichkeiten der Medizin bis zum Letzten auszuschöpfen, argumentiert die EKD. Einen Menschen sterben zu lassen, sei bei vorher verfügtem Patientenwillen nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten. Hingegen sei die gezielte Tötung eines Menschen in der letzten Lebensphase aus christlicher Sicht ethisch nicht vertretbar, auch wenn dies ausdrücklich gewünscht werde.

Auch die Parteien reagierten zustimmend. Der Abbruch lebensverlängernder medizinischer Maßnahmen könne unter gewissen Umständen als angemessene und ethisch gerechtfertigte Umsetzung des Patientenwillens angesehen werden, erklärte der Vorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Thomas Rachel. Das Urteil dürfe aber keinesfalls als Freibrief für eine allgemeine Befürwortung eines beliebigen straffreien Abbruches solcher Maßnahmen aufgefasst werden.

Nach Einschätzung des FDP-Experten für Palliativmedizin, Michael Kauch, ist mit dem Urteil die Durchsetzung einer Patientenverfügung rechtlich erneut abgesichert worden. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Jerzy Montag, sprach von einer guten Entscheidung: "Menschen dürfen sich sinnlosen lebensverlängernden Maßnahmen widersetzen." Zudem sei endlich Rechtssicherheit hergestellt, kommentierte der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Jens Petermann, den Richterspruch.

Göring-Eckardt fordert öffentliche Debatte

Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt (Grüne) forderte eine öffentliche Debatte über das Zulassen des natürlichen Todes und der ethisch nicht vertretbaren Tötung auf Verlangen. Der Fall habe auch gezeigt, dass solche Situationen "unglaubliche Belastungsproben" für die Angehörigen darstellten, die dann nicht alleingelassen werden dürften, sagte Göring-Eckardt, die auch Präses der EKD-Synode ist.

Eugen Brysch von der Deutschen Hospiz-Stiftung sprach hingegen von einem "schwarzen Tag für die Schwerstkranken in Deutschland". Anstatt einfach die Magensonde zu kappen, hätte der Anwalt ein Vormundschaftsgericht einschalten müssen, erklärte Brysch. Wenn zur Ermittlung des Patientenwillens ein Vier-Augen-Gespräch reiche, sei dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet.

Auch der Vorsitzende des Ärzteverbandes Marburger Bund, Rudolf Henke, reagierte skeptisch. Der Freispruch sei kein Freibrief für eigenmächtiges Handeln von Angehörigen. Weiterhin sei der Patientenwille maßgeblich. Wachkoma-Patienten seien keine Sterbenden.

epd