"Ghana: Do it for Africa" - Daumendrücken im Stadion
Beim Spiel Deutschland gegen Ghana waren die Sympathien klar verteilt: Daumenhalten für Ghana, damit ganz sicher ein afrikanisches Land in die nächste Runde kommt. Volker Lubinetzki hat das Spiel live im Stadion in Johannesburg miterlebt.
24.06.2010
Von Volker Lubinetzki

Ich gestehe immer nur ungern, daß ich Leverkusener bin. Ständig muß man sich verspotten lassen wegen der mittlerweile zahllosen Gelegenheiten, national oder international etwas zu gewinnen, nur um es dann im letzten Moment doch wieder zu vergeigen. Schön, dass gestern Abend wenigstens Toni Kroos für wenige Augenblicke seine bislang ungenutzte Rückennummer den knapp 85.000 Zuschauern in SoccerCity vorführen durfte. Das versöhnt wieder ein wenig.

Auch Ghana soll weiterkommen

Noch bewegender war der Moment, als sich bei unserem Eintritt ins Stadion die Zuschauer geschlossen von ihren Sitzen erhoben. Das lag daran, dass wir es nur mit Mühe gerade noch rechtzeitig zum Abspielen der Nationalhymnen zu unseren Plätzen geschafft hatten. Was natürlich auch den blöden Anfangszeiten zu verdanken ist, die sich die Fifa von ihren Sponsoren für die WM hat aufs Auge drücken lassen (hab ich jetzt irgendwo ein TM vergessen? Ich hoffe, niemand merkt's und hetzt die Anwälte auf mich). Der Weg von Pretoria nach Johannesburg ist zwar nicht weit (knapp 70 km), doch in der Kombination Berufsverkehr und Fußballbegeisterung etwas beschwerlich (dreieinhalb Stunden Hinfahrt, und zurück waren wir auch erst gegen halb zwei nachts), aber hat sich gelohnt.

Wir waren mit einem Rudel deutsch-südafrikanischer Fans von der Deutschen Schule Pretoria aus aufgebrochen, um unsere Jungs gegen Ghana anzufeuern, allerdings möglichst auch wieder nicht zu sehr, auf dass nach dem Ausscheiden unser anderen "Jungs" (Bafana Bafana) wenigstens ein afrikanisches Team noch die Option aufs Weiterkommen behalte. So ähnlich haben wohl auch die restlichen Fans im Stadion gedacht; spätestens bei den Ecken für Ghana und der gelben Karte gegen Müller wurde recht deutlich, wem hier die Sympathien galten. Komisch eigentlich – ich bin ja schließlich auch nicht plötzlich für Slowenien, nur weil Deutschland ausgeschieden ist und ich wenigstens irgendein europäisches Team unterstützen möchte. Aber genau hier schlägt das Herz der diesjährigen Weltmeisterschaft: Sie findet eben nicht nur in Südafrika, sondern in Afrika statt! Und das merkt man auf Schritt und Tritt ("Ghana: Do it for Africa!", munterten die Schlagzeilen am Straßenrand das Bruderland auf).

Perfekte Organisation

Unter diesem Gesichtspunkt kann man mit dem Ergebnis der Begegnung und dem endgültigen Tabellenstand in Gruppe D eigentlich ganz zufrieden sein, auch wenn das Niveau des Spiels nicht gerade Weltklasse hatte. Aber das war bisher ohnehin bei recht wenig Spielen der Fall; im Zweifel regiert die Vorsicht, oder das Team hatte genug damit zu tun, sich selbst zu zerfleischen (Frankreich), da kann man sich schließlich nicht auch noch um den Gegner kümmern. Nur schade, dass der Gegner (Südafrika) selbst diese Riesenchance nicht genutzt hat.

All das vermag zum Glück nicht die gute Stimmung zu verderben, die allenthalben herrscht (Bild links): Fahnen in allen Ausführungen und Größen gibt's an den Kreuzungen zu kaufen, lustige Ohrenwärmer für Außenspiegel in den bevorzugten Landesfarben lassen sogar den abgebrühtesten Antinationalisten schmunzeln; afrikanische Geduld ist nur selten nötig, das meiste ist perfekt organisiert und geregelt, von den zahlreichen Befürchtungen im Vorfeld hat sich bislang nichts bewahrheitet. SoccerCity ist – wie alle Stadien, vor allem die neu gebauten – fantastisch: Von außen atemberaubend, von innen aber zugleich aufgeräumt und luftig, nirgends kommt Bedrückung oder Platzangst auf und von überall hat man einen ausgezeichneten Blick aufs Spielfeld.

Auch Rugbyfans feuern an

Und der Krach? Die schrecklichen Vuvuzelas? Das ohrenbetäubende Gedröhne tausender missmutiger Hornissen um einen herum? Alles halb so schlimm; deutsche Fußballstadien sind auch nicht leiser. Der einzige Nachteil ist, dass man kaum einen Schlachtgesang hört. Bei den meisten ist das ja in der Regel nicht weiter schlimm, aber die eine oder andere witzige Tribünenpoesie (vor allem im angelsächsischen Idiom) hört man ja doch immer mal ganz gerne. Wie es auf dem Spielfeld ist, kann ich nicht beurteilen, denke mir aber, wenn ich oben auf den Rängen die Schiedsrichterpfeife hören kann, kann es unten so schlimm ja auch nicht sein.

Ausgelassene Heiterkeit in den Stadien und drumherum, wenig oder keine Aggression unter den Fans, bunte Mischung aller Nationen und Hautfarben, speziell auch der südafrikanischen Gesellschaft, haben diese Weltmeisterschaft schon jetzt zu einem ganz besonderen Ereignis gemacht. Das Sportliche ist unter diesem Gesichtspunkt also vielleicht gar nicht mal das Wichtigste.

Wenn das Rugby-Endspiel in Soweto stattfindet (weil der Rasen im umgewidmeten Rugbystadion geschont werden soll) und die (weißen) Rugbyfans durch die Shebeens ziehen; wenn ebenjene Rugbyfans plötzlich in der Rugbyhochburg Pretoria "ihr" Fußballteam anfeuern (bei einem Spiel, dessen Regeln sie noch zu lernen scheinen), wenn alle zusammen die Nationalhymne mit ihren mehrsprachigen Strophen anstimmen, dass es einem die Gänsehaut über den Rücken jagt – dann erkennt man tatsächlich das Land nicht wieder, das bislang hauptsächlich durch Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam gemacht hat. Hoffen wir mal, dass das noch länger so bleibt, wünschen wir uns noch ein paar rassigere und hochklassige Spiele und freuen wir uns über das Privileg, diese Weltmeisterschaft hautnah miterleben zu dürfen. So was kommt so schnell nicht wieder.

NB: Ich schreibe etwas verspätet, weil heute mittag eigentlich Joachim Löw an die Deutsche Schule Pretoria kommen sollte, zu einem Besuch bei einigen seiner treuesten Fans. Da hätte ich ihm gerne den einen oder anderen wertvollen Ratschlag gegeben ("Sagen Sie mal, was haben Sie eigentlich gegen Kießling?"). Hat dann leider doch nicht geklappt, kam wohl irgendwas dazwischen (Sicherheitsbedenken, Sponsoreneinwände oder was weiß ich). Schade. Aber ich nehm’s ihm nicht übel, weil ich ihn auch so für einen prima Trainer halte. Und mit seiner George Harrison-Frisur hat er bei mir sowieso einen Stein im Brett. Nur daß man ihm permanent zurufen möchte: Nun nimm doch mal die Zähne auseinander und entspann dich, Jogi – do it for Africa!


Dr. Volker Lubinetzki ist Pastor der Johannesgemeinde in Pretoria.