WM-Fieber: "Wir Afrikaner halten alles aus"
Ghana soll am Mittwoch bei der Fußball-WM auf jeden Fall weiterkommen: Im ehemaligen Bürgerkriegsland Liberia drücken die Fans Ghana fest die Daumen gegen Deutschland.
23.06.2010
Von Marc Engelhardt

Kurz nach Sonnenaufgang sind Jeremy und seine Freunde an den Strand gekommen, der sich vor dem UN-Hauptquartier in Liberias Hauptstadt Monrovia erstreckt. Ein paar Stunden schon kicken sie einen abgewetzten Ball hin und her, üben Pässe und schießen auf die Fläche zwischen zwei Stücken Treibholz, die als Torpfosten herhalten müssen. "Ich will Fußballprofi werden", verkündet der 16-jährige bei einer kurzen Verschnaufpause. "Dafür übe und übe ich, jeden Tag." Dass es heute stürmt und in Strömen regnet, ficht ihn nicht an. "Wir Afrikaner halten alles aus."

Deshalb, sagt Jeremy, wird Ghana am Mittwoch bei der Fußball-WM auf jeden Fall weiterkommen. Seine Freunde nicken. Liberia mag von Johannesburg aus gesehen am anderen Ende Afrikas liegen, aber das WM-Fieber hat die Jugendlichen voll erfasst. Wenn um 11.30 Uhr Ortszeit das erste Match angepfiffen wird, sitzen die Freunde bereits im einzigen Kino der Stadt. In dem maroden Gebäude, das bis heute die Spuren des vor sieben Jahren zu Ende gegangenen Bürgerkrieges trägt, werden alle Spiele von einem altersschwachen Projektor auf den bröckelnden Putz projiziert.

Die westafrikanischen Bruderstaaten Nigeria und Ghana sind die Lieblingsmannschaften der meisten Liberianer, aber auch bei den anderen afrikanischen Teams gehen die Fans mit. Als Kamerun von Dänemark aus der WM geschossen wurde, verließen Dutzende Fans trauernd das Auditorium. Beim Spiel Ghana gegen Deutschland wird sich das nicht wiederholen, gibt sich Francis selbstsicher, der das Trikot von Michael Essien trägt. Auch wenn sein Held selber nicht spielt, glaubt er an einen Sieg. "Ghanas Team hat doch als einzige afrikanische Mannschaft bewiesen, dass es gewinnen kann."

Bei so viel Begeisterung ist es umso erstaunlicher, dass Mussa Hassan Bility ein vernichtendes Urteil über die Lage des beliebtesten Volkssports zieht. "Fußball in Liberia ist tot", glaubt der frisch gewählte Präsident des nationalen Fußballverbandes. Zweifellos liegt Liberias Glanzzeit gut ein Jahrzehnt zurück. Sie ist untrennbar mit einem einzigen Namen verbunden: George Weah. Weah, 1995 als erster Afrikaner zum Weltfußballer des Jahres gewählt, führte Liberia zweimal in den Afrika-Cup, zuletzt 2002. Seitdem ist es ruhig geworden um die "Lone Stars".

"Wir müssen unsere eigene Liga in Ordnung bringen", sagt Bility, der den Clubs vorläufig die Registrierungsgebühren erlassen hat, um sie zu entlasten. "Und dann brauchen wir einen vernünftigen Trainer, der es schafft, Liberia für den nächsten Afrikacup zu qualifizieren." Ob das dem Team, das im letzten Viertel der FIFA-Weltrangliste geführt wird, gelingen kann, bezweifeln selbst viele Einheimische. Nur einem traut man das Wunder zu: Weah. Aber der kommt als Trainer nicht in Frage, seit er sich der Politik verschrieben hat.

Zwar lebt der Ex-Fußballer die meiste Zeit in den USA, in Liberia genießt er aber immer noch Heldenstatus. Kenner der politischen Szene sind sicher, dass Weah im kommenden Jahr erneut gegen Präsidentin Ellen Johnson-Sirleaf antreten wird. Bei seinen seltenen Auftritten in Liberia umjubeln ihn vor allem die jungen Wähler. Weah, so sagt auch Jeremy, symbolisiert den liberianischen Traum. "Jeder will ein zweiter Weah sein." Dass Weah Politik macht, findet der Strandspieler hingegen nicht so toll. "Ich fände es besser, wenn er was für den Fußballnachwuchs täte."

epd