TV-Tipp des Tages: "This Is It" (ProSieben)
Die Konzertreihe "This Is It" sollte Michael Jacksons triumphales Comeback bedeuten. Danach wäre dann, wie er auf seiner letzten Pressekonferenz angekündigt hat, der letzte Vorhang gefallen.
23.06.2010
Von Tilmann P. Gangloff

"This Is It", 24. Juni, 20.15 Uhr auf ProSieben

Ist dieser Film von Kenny Ortega, der die Proben für die fünfzig vertraglich vereinbarten Auftritte in der Londoner O2-Arena dokumentiert, auch nur halbwegs authentisch, wäre es in der Tat ein Ereignis geworden, zu dem Fans aus aller Welt gepilgert wären. Es ist anders gekommen, wie man weiß; wenige Tage vor der Premiere ist Michael Jackson an einem Cocktail aus Narkose- und Aufputschmitteln gestorben. Er soll zuletzt ein Wrack gewesen sein, psychisch wie physisch: gepeinigt von Wahnvorstellungen und Paranoia, abgemagert zum Skelett und nie im Leben in der Lage, auch nur ein Konzert durchzustehen; geschweige denn fünfzig.

Selbstredend zeigt der Film ein völlig anderes Bild. "This Is It" ist ein pures Spekulationsobjekt, innerhalb weniger Monate produziert, um den Tod des Superstars möglichst gewinnbringend auszuschlachten. Auch die Konzertreihe war ja keine Herzensangelegenheit, sondern sollte vor allem dazu beitragen, Jacksons horrenden Schulenberg abzutragen. Und deshalb ist es nicht in Ordnung, sich von diesem Film mitreißen zu lassen. Aber man kann nicht anders.

"This Is It" zeigt Jackson auf der Höhe seines Ruhms und seiner körperlichen Fitness. Das ist zwar unmöglich, weil beides mindestens zwei Jahrzehnte zurückliegt, doch der Film vermittelt genau diesen Eindruck. Man sieht einen Künstler, der über die Bühne wirbelt wie ein Mann von Mitte zwanzig; einen Musiker, der perfektionistisch an kleinsten Tonfolgen bastelt; einen Menschen, dessen Ausstrahlung immer noch elektrisiert. Die Stimme ist klar und kräftig, auch wenn sie mitunter ungewohnt zittert. Aber nicht mal bei Live-Konzerten vermag man ja zwischen Playback und echtem Gesang zu trennen. Selbst wenn akustisch also nachgeholfen wurde: Die tänzerischen Darbietungen sind derart energiegeladen, dass man Jacksons lebensmüde Ankündigung, mit fünfzig wolle er nicht immer noch den "Moonwalk" machen, kaum glauben kann.

Eine weitere große Stärke des Films - neben dem Hauptdarsteller natürlich - ist ausgerechnet jener Aspekt, der doch eigentlich das größte Manko sein müsste. „This Is It“ war ja in dieser Form nie geplant. Einen Film hätte es zwar ganz sicher gegeben, aber doch keine Dokumentation eines „Work in Progress“. Ortega, berühmt geworden als Choreograf von „Dirty Dancing“ und schwerreich als Regisseur der diversen „High School Musicals“, sollte die Proben für Jacksons Privatarchiv dokumentieren. Während der Schnitt beim klassischen Konzertfilm auf die Musik abgestimmt und entsprechend rasant ist, dominieren hier die langen Einstellungen. Auf diese Weise kann man den Künstler in aller Ruhe bei der Arbeit beobachten. Manchmal wechseln die Perspektiven und mit ihnen die Kostüme, aber es gibt keinerlei irrwitzige Fahrten einer wie schwerelos über die Bühne und durch die Halle sausende Kamera.

Aber es gibt natürlich auch kein Publikum. Deswegen ist der Film zwar bewegend, aber er muss ohne jene Gänsehautmomente auskommen, die sich bei guten Konzertfilmen immer ergeben. In der leeren Arena verlieren sich allein direkt vor der Bühne all jene, die gerade nicht gebraucht werden, die Tänzer und die Techniker, die zwischen den zwölf Liedern gelegentlich auch selbst zu Wort kommen und sich mit dem erwartbaren Pathos über Jackson äußern. Andererseits tragen sie gemeinsam mit den Musikern dazu bei, dass der Film so ein großartiges Dokument geworden ist. Ein musikalisches Denkmal, aber kein hemmungsloser Personenkult, und deshalb ein Werk, dass allen gerecht wird: Michael Jackson, seiner Musik und seinen Fans.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).