"Tornado", 23. Juni, 20.15 Uhr auf Sat.1
Ein Tornado, der über das Brandenburger Tor hinwegfegt und anschließend die Glaskuppel des Reichstags zerfetzt: Das sind Bilder, die in der Tat unter die Haut gehen. Allerdings muss man eine Weile warten, bis es endlich so weit ist. Im Gegensatz zu vergleichbaren amerikanischen "TV-Movies" vergeht aber auch das Vorspiel zum metropolen Desaster wie im Fluge: weil der Wirbelsturm, der die Hauptstadt in Angst und Schrecken versetzt und am Ende für ein dramatisches Finale sorgt, diverse kleinere Vorläufer hat; und weil Autor Don Bohlinger eine richtig gute, von Regisseur Andreas Linke packend umgesetzte Geschichte geschrieben hat, die keineswegs bloß die Zeit zwischen den kleinen und großen Katastrophen überbrücken soll.
Im Zentrum der Handlung steht der junge Meteorologe Jan Berger (Matthias Koeberlin, für Linke schon beim "Experiment Bootcamp" aktiv). Er hat sich in den USA mehrere Jahre intensiv mit Tornados beschäftigt. Als er nach Berlin zurückkehrt, leidet die Stadt gerade unter einer wochenlangen Hitzewelle; kein Lüftchen weht. Jan erkennt die Vorboten eines Wirbelsturms, zumal es im weiteren Umland bereits kleinere Vorfälle gegeben hat. Einen hat Jan gemeinsam mit Ex-Freundin Eva (Mina Tander) nur knapp überlebt. Doch beim Stadtoberhaupt stoßen seine Warnungen auf taube Ohren: Der Bürgermeister hört lieber auf den Chef des Wetterdienstes (Rudolf Kowalski), der keinerlei Anzeichen für eine Gefahr sieht. Der Mann heißt ebenfalls Berger: In den Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn geht es bei Weitem nicht bloß um unterschiedliche Interpretationen von Kaltfronten. Als sich düstere Wolkenberge über der Stadt auftürmen, folgt Brandschutzleiter Schütte (Martin Lindow) Jans Rat und lässt gegen den Willen des Bürgermeisters die Bevölkerung warnen. Doch die Wolken verziehen sich wieder, und Jans Glaubwürdigkeit ist dahin; bis der Sturm zurückkehrt.
Die Trickaufnahmen (Thorsten Binte) sind imposant. Doch noch mehr Respekt gebührt Linke, der dank ausgezeichneter Darsteller (in weiteren Rollen: Lisa Martinek, Harald Schrott, Sascha Göpel) und einer fesselnden Dramaturgie aus einer im Grunde schlichten Geschichte einen jederzeit sehenswerten, streckenweise unerhört spannenden Film gemacht hat. Natürlich gibt es auch hier, wie in allen Filmen des Genres, diverse Nebenfiguren, deren einzige Existenzberechtigung darin liegt, irgendwann in Lebensgefahr zu geraten. In der Regel sind diese Rollen reine Abziehbilder, für die man kaum gesteigertes Interesse aufbringt. Bohlingers Buch und Linkes Darstellerführung aber hauchen ihnen Leben ein, so dass man tatsächlich mitfiebert. Dafür nimmt man sogar den unvermeidlichen Emotionsnippes in Kauf. Für die Sat.1-Wiederholung ist der ursprünglich als Zweiteiler bei ProSieben gezeigte Thriller allerdings stark gekürzt worden.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).