Herzliches Dankeschön an alle Steuerzahler!
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, harte Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - diesmal erklärt er, warum Steuerzahler Anerkennung verdienen und wie bei Jugendlichen gerade eine neue Ausbeuterklasse entsteht.
18.06.2010
Die Fragen stellte Frauke Weber

evangelisch.de: Laut DIW-Studie ist Mittelschicht der große Verlierer des vergangenen Jahrzehnts. Welche Folgen hat es für Deutschland, wenn sich die Abstiegspanik ausbreitet und die bürgerliche Mitte zerfällt?

Ernst Elitz: Nachdem die journalistischen Kollegen nach der Pressemitteilung auch den Text der Studie gelesen hatten – Journalistenpflicht! - schlug das Panikbarometer weniger heftig aus. In den letzten anderthalb Jahrzehnten ist der Anteil der sogenannten Mittelschicht – monatliches Nettoeinkommen zwischen zwischen 860 und 1844 Euro – an der Gesamtbevölkerung von 64,9 auf 61,5 gesunken. Zuletzt stieg der Anteil wieder an. Das Einkommen dagegen wuchs kontinuierlich um sechs Prozent. Mit dem Blick auf gesellschaftliche Trends wird manche Entwicklung verständlich .Wir haben die Zahl der Studenten enorm erhöht: Die fallen während des Studiums schon mal raus aus der Mittelschicht. Der klassische Haushalt, in dem beide Elternteile gemeinsam für die Kinder sorgen, löst sich auf. Die Konsequenz: Viele Alleinerziehende brauchen staatliche Hilfe. So sind es auch individuelle Lebensentscheidungen, die die Mittelschicht löchrig machen. Panikattacken bekomme ich deshalb nicht. Die packen mich eher, wenn ich mir vor Augen führe, dass noch nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung überhaupt noch Steuern zahlt und auf der anderen Seite die Zahl der in jeder Hinsicht Unterhaltspflichtigen steigt. Da gebührt denen täglich Dank, die mit ihrem Steuergeld den Sozialstaat am Laufen halten. Die einen halten diese Leute für ziemlich blöd, die anderen zucken die Schultern. Kaum ein Politiker zollt ihnen Anerkennung. Deshalb sage ich allen Steuerzahlern an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön.

evangelisch.de: Das EU-Parlament hat das Ampel-Modell zur Lebensmittelkennzeichnung abgelehnt - die Industrie jubelt. Wer schützt uns eigentlich vor den Lobbyisten in Brüssel und Berlin?

Ernst Elitz: Gegenfrage: Wer schützt uns vor Verbraucherschutz-Lobbyisten, denen es nicht gelungen ist, die Parlamentarier in allen EU-Staaten für eine Ampelregelung zu gewinnen? Diese geballte Macht hat versagt. Deshalb brauchen wir erst mal Profis in den Verbraucherschutzverbänden. Darüber hinaus habe ich meine Zweifel, ob diese volkspädagogische Rot-Gelb-Grün-Massnahme das Konsumverhalten tatsächlich verändert hätte. Es wäre sinnvoller, wenn Eltern und Lehrer den Kindern beibringen könnten, dass Süssigkeiten in grosser Menge, fetttriefende Burger und Alkoholisches weniger gesund sind als Gemüse, Kartoffeln und gelegentlich mal ein Bier. Wer das nicht kapiert, der wird auch bei der Ampel nicht richtig schalten.

evangelisch.de: Die Anwälte des Musikkonzerns EMI haben den Machern des Liedes "Schland o Schland" erst eine Abmahnung geschickt, nach öffentlicher Empörung aber einen Plattenvertrag angeboten. Brauchen wir einen - lockereren - Umgang mit dem Urheberrecht?

Ernst Elitz: EMI hat eine ökonomisch sinnvolle Entscheidung getroffen. Abmahnung und Strafzahlung hätten weniger eingebracht als der Vertrag mit einer inzwischen populären Band. Aber das ist eher der Ausnahmefall. Der lockere Umgang mit den Urheberrechten ist eine Missachtung der Arbeit von Schriftstellern, Profimusikern und anderen Künstlern. Mich erschüttert, dass gerade auch Jugendliche eine "Alles-ist-meins"-Gesinnung entwickeln. Soll der Künstler doch sehen, wie er zurecht kommt. Hier entsteht eine neue Ausbeuterklasse.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.