Studie: Kluft zwischen Arm und Reich wächst zu stark
Die Kluft zwischen Arm und Reich in Deutschland wächst. Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor, die am Dienstag in Berlin veröffentlicht wurde. "Dieser Trend verunsichert die Mittelschicht", betonten die Forscher. Eine starke Mittelschicht sei "wichtig für den Erhalt der gesellschaftlichen Stabilität." Opposition, Verbände und Gewerkschaften appellierten angesichts der Ergebnisse der Studie an die Bundesregierung, ihr umstrittenes Sparpaket zu stoppen. Vermögende Bürger müssten stärker belastet werden.

Nach Angaben des DIW gehören nur noch 60 Prozent der Menschen in Deutschland zur Mittelschicht, die das DIW mit einem Nettoeinkommen zwischen 860 und 1.844 Euro definiert. 2000 waren es noch mehr als 64 Prozent. Deutlich gestiegen sei vor allem die Zahl der Menschen mit niedrigem Einkommen: von 18 Prozent im Jahr 2000 auf fast 22 Prozent im vergangenen Jahr.

Die DIW-Forscher warnen vor einer "Statuspanik" bei den mittleren Schichten: Die Einkommenspolarisierung dürfe nicht als irrelevant abgetan werden, "vielmehr ist die Sicherung der Mitte als eine wichtige Voraussetzung für die Stabilität demokratischer Entscheidungsprozesse anzusehen". Als konkrete Gefahr sehen die Wissenschaftler die Bildung von Armenvierteln in großen Städten.

Konsens: Die Reichen müssten mehr abgeben

Menschen mit Niedrigeinkommen haben auch in absoluten Zahlen immer weniger. Verfügte ein Single-Haushalt der unteren Einkommensgruppe im Jahr 2000 im Schnitt noch über 680 Euro, waren es 2008 nur noch 645 Euro. Gleichzeitig stieg auch der mittlere Verdienst höherer Einkommensgruppen: von 2.400 auf 2.700 Euro. "Der Abstand zwischen Arm und Reich vergrößerte sich also erheblich", so die Forscher.

2009 zählten über 16 Prozent zur Schicht der Reichen. Zwar sei der Anteil der reichen Haushalte durch die Wirtschaftskrise im Vorjahr gesunken, stellten die Wissenschaftler fest. Allerdings hätten diese 2009 weit höhere Einkommen erzielt als noch in den Jahren zuvor.

Mitautor Jan Goebel hält vor diesem Hintergrund das geplante Sparpaket der Bundesregierung für zu einseitig: "Der Anteil der Reichen steigt stetig und die Reicheren verdienen auch immer besser. Da stellt sich schon die Frage, ob diese Gruppe nicht auch einen Sparbeitrag leisten sollte."

Oppositionspolitiker kritisieren erneut Sparpaket

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles erklärte, die Studie sei "ein weiteres großes Stoppschild für die Politik der Bundesregierung". Die Regierung dürfe die Einkommensgegensätze zwischen ärmeren und reicheren Haushalten mit ihrem Sparpaket nicht weiter verschärfen. Nahles forderte, auch Menschen mit höherem Einkommen zu belasten. Um ein weiteres Abrutschen im unteren Einkommensbereich zu verhindern, müsse ein gesetzlicher Mindestlohn eingeführt und die Leiharbeit wirksam begrenzt werden.

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Renate Künast, warf Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor, ihr Sparpaket enthalte keinen Ansatz, die Auseinanderentwicklung der Gesellschaft zu bremsen. Mit ihrer Politik verschärfe sie den Trend, rügte Künast: "Die unteren Einkommen und die Transferleistungsempfänger werden zur Kasse gebeten, die großen Vermögen werden verschont."

"Das Sparpaket muss in ein Einnahmepaket umgewandelt werden", forderte DGB-Vorstandsmitglied Claus Matecki in Berlin. Es sei unerträglich, dass mit dem Sparpaket die Polarisierung zwischen Arm und Reich noch verstärkt werde. Matecki forderte die Wiedereinführung der Vermögenssteuer, eine reformierte Erbschaftssteuer, eine Finanztransaktionssteuer und höhere Spitzensteuersätze.

IG Metall: Soziales Gleichgewicht aus der Balance geraten

Der Sozialverband VdK Deutschland bezeichnet die Ergebnisse der Studie als in höchstem Maße alarmierend. "Das geplante Sparpaket darf so nicht in Kraft treten. Hier muss die Notbremse gezogen werden", sagte VdK-Präsidentin Ulrike Mascher. Sie sprach sich zudem für die "längst überfällige" Einsetzung eines Armutsbeauftragten der Bundesregierung aus. Dessen Aufgabe müsse es sein, künftig ressortübergreifend Gesetzesvorhaben daraufhin zu prüfen, ob dadurch die Armut in Deutschland verringert oder erhöht werde.

Nach den Worten von IG-Metall-Chef Berthold Huber zeigen die Ergebnisse der Studie, wie das soziale Gleichgewicht in Deutschland aus der Balance geraten ist. Grund sei eine falsche Politik. Die Mittelschicht werde ausgezehrt, sagte Huber der "Süddeutschen Zeitung" und kritisierte das aktuelle Sparpaket der Bundesregierung als unsozial. "Es muss Schluss sein nach dem Motto: Die Armen zahlen die Zeche, die Reichen bleiben ungeschoren", sagte er.

epd