Filmtipp: "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau"
Die "wilden" 20er Jahre: Ein Tanz auf dem Vulkan. Stephen Elliott hat mit "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau" augenzwinkernd ein Theaterstück aus dieser Zeit verfilmt.
15.06.2010
Von Barbara Schweizerhof

Trotz Kurzarbeit und Insolvenzen denken die meisten beim Schreckenswort "Weltwirtschaftskrise" an den "Schwarzen Dienstag" im Jahre 1929. Am 29. Oktober endete damals ein Jahrzehnt, das mal als "golden" und mal als "wild" bezeichnet wird. Stephan Elliotts Film "Easy Virtue - Eine unmoralische Ehefrau" zeigt, was diese Dekade vor dem Börsencrash alles an bis dato Unerhörtem möglich machte: Das Fahren von Automobilen etwa. Oder Frauen, die Hosen tragen. Oder Theaterstücke, in denen eine Auto fahrende, Hosen tragende Frau im Mittelpunkt steht.

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In dieser Verfilmung eines Theaterstücks aus den 20ern baut sich am Anfang die Familie vor dem Anwesen auf. Sie will den ältesten Sohn und die Frau, die er im Ausland überraschend geheiratet hat, willkommen heißen. Doch obwohl sie sich noch nicht kennen, sind die Fronten bereits klar: die vermeintlich vulgäre Amerikanerin, die der deutsche Verleihtitel recht unglücklich als "unmoralische Ehefrau" bezeichnet, muss hinausgeekelt werden. "Lächeln", wird als Parole ausgegeben, als das Auto sich nähert. "Mir ist aber nicht danach!", trotzt eine der Töchter. "Du bist Engländerin - tu so, als ob!", empfiehlt der Vater. Colin Firth spielt ihn als depressiven Exzentriker, dessen Lebensgeister einzig beim Austausch von Bösartigkeiten mit seiner Frau aufblitzen.

Jessica Biel als amerikanische Überraschungsbraut

Kristin Scott Thomas als bittere Matriarchin, die ihrem Mann nicht verzeiht, was auch immer er getan hat, ist ihm ein ebenbürtiges Gegenüber. Wer feinste Nuancen von sarkastisch über ironisch bis zu offen verächtlich studieren möchte, wird sich an ihrem grandiosen Auftritt hier kaum satt sehen können. Gegenüber solchen Schauspiel-Schwergewichten haben es die "Newcomer" dagegen eher schwer.

Wenn Jessica Biel als amerikanische Überraschungsbraut aus dem Auto steigt und den Entenhut abnimmt, um ihren blond gefärbten Bubikopf auszuschütteln, löst sie Erwartungen aus, die sie dann doch nie erfüllt: Ihre Larita bleibt bloßes Abziehbild amerikanischer Tugenden wie Toughness, Leichtigkeit und Pragmatismus. Aber auch Ben Barnes ("Prinz Kaspian" aus der Narnia-Verfilmung) kann seiner Figur nicht die richtige Erdung verleihen. Er spielt den frisch gebackenen Ehemann, der nichts lieber hätte, als dass Mama und Braut sich einfach vertragen.

Die "wilden 20er Jahre": Tanz auf dem Vulkan

Das Theaterstück "Easy Virtue" stammt aus der Feder des britischen Autors Noel Coward, der seinerseits die "wilden 20er" personifizierte wie kaum ein anderer. Ein Popstar, lange vor der Erfindung des Pop, ein Botschafter von "Cool Britannia" in einer Zeit, als die Kombination von "britisch" und "cool" noch eine Beschreibung für höfliche Zurückhaltung oder schlechtes Wetter darstellte.

Easy Virtue erhielt bereits 1928 eine Leinwandversion, und zwar von niemandem Geringeren als Alfred Hitchcock. Doch er musste in seiner Stummfilmfassung Cowards geschliffene Dialoge weitgehend weglassen. Stephan Elliotts Film verneigt sich mit dieser jüngsten Verfilmung hingegen förmlich vor dem Theatergenie Noel Coward und seiner scharfzüngigen, pointenreichen Sprache.

Doch leider geht Respekt stets mit einer gewissen Distanz einher. Das tut der Ironie im Film zwar gut, aber nicht dem dazugehörigen Ernst: Dass hinter der Lethargie des Hausherrn ein Kriegstrauma steht und die Biestigkeit der Mutter vor allem an realen wirtschaftlichen Sorgen liegt, das verkommt in Elliotts stylisher Inszenierung ebenfalls zur Pointe.

Dabei liegt im unterliegenden Ernst das eigentlich Interessante an Cowards Komödien: Es ist der feine Sinn dafür, dass die 20er Jahre eine Art Tanz auf dem Vulkan waren. Es war eine Epoche des Aufbruchs, in der soziale Unterschiede jäh aufbrachen und in Frage gestellt wurden, eine Zeit, geprägt von einem Innovationsschub in Technik, Kultur und Alltag. Elliott aber bleibt beim Ton augenzwinkernder Nostalgie, wie ihm die Filmmusik von Marius De Vries vorgibt, der die 20er als "Jazz Age" feiert. Seine Duke-Ellington-Fassung von "Sex Bomb" hat es allerdings in sich.

Großbritannien/USA 2008. Regie: Stephan Elliott. Buch: Stephan Elliott, Sheridan Jobbins (nach dem Stück von Noel Coward). Mit: Jessica Biel, Ben Barnes, Colin Firth, Kristin Scott Thomas. 97 Minuten. FSK: 6, ff.

epd