Keine Neuwahlen - Rettet das sinkende Schiff
Hessen muss einen neuen Ministerpräsidenten vereidigen, nachdem Roland Koch Amt und Würden von sich schmiss. Deutschland sucht einen neuen Bundespräsidenten, nachdem Horst Köhler sich entmutigt und beleidigt aus Bellevue verabschiedete. Und die schwarz-gelbe Koalition? Sie streitet sich. Über einfach alles. Über die Bundespräsidenten-Nachfolge, die Gesundheit, die Wehrpflicht. Und liest man die Meinungen der politischen Kommentatoren verschiedener Zeitungen, treibt das Boot der Regierungskoalition auf einen großen Wasserfall zu, an dessen Ende sie unausweichlich zerschellen muss.
Aber was wäre das für ein Signal, jetzt aufzugeben? Die Ratten verlassen das sinkende Schiff und die Wähler bekommen wieder einmal den Beweis, dass sie von den Politikern nichts zu erwarten haben als Zank, falsche Versprechen und Profilierungssucht. Die Wildsau-, Gurken- und Rumpelstilzchen-Truppe wirkte geradezu hysterisch in den letzten Wochen. Die Reaktionen auf die Hysterie: Die Medien und die SPD fordern Neuwahlen und der Fraktionschef der Grünen Jürgen Trittin forderte, Angela Merkel solle im Parlament die Vertrauensfrage stellen.
Doch: Weder Neuwahlen noch Vertrauensfrage können die eigentlichen Probleme lösen. Sie würden lediglich dringende Maßnahmen verschieben und von den eigentlichen Probleme ablenken. Und wäre es nicht besser, diejenigen, die gegen das vorgeschlagene Sparpaket demonstrieren, erhielten eine konstruktive Antwort der verantwortlichen Regierung? Die Spitzen der Regierungsparteien haben jüngst versprochen, sich am Riemen zu reißen. Das sollten sie auch, denn die derzeitigen Aufgaben sind groß und erfordern Ruhe, Überlegtheit, Solidarität und Gemeinsinn.
Bitte, liebe Regierung, zeig uns, dass dir 48 Prozent der Wähler den Regierungsauftrag vor neun Monaten zu Recht gegeben haben.
Lilith Becker
Bitte Neuwahlen - Mit Haltung punkten
Noch kann Kanzlerin Merkel das Ruder herumreißen und Mehrheiten für sich gewinnen. Dafür muss sie ein Machtwort sprechen und aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ihres Opportunistendaseins ausbrechen. Aufhören, reine Machtpolitikerin zu sein und dem System Merkel getreu die Dinge auszusitzen. Doch wie wahrscheinlich ist das?
Neuwahlen sind ein Verfassungsinstrument, um politische Krisen zu überwinden, kein Instrument der Alltagspolitik. Wie sieht der politische Alltag aus, den wir seit Monaten in Deutschland erleben? Das Vertrauen der Menschen in die Politik ist extrem ermattet. Gehen wir zurück an den Anfang, zurück zu den Koalitionsverhandlungen: einen besonders guten Start hat diese schwarz-gelbe Ehe nicht hingelegt. Was dieser Koalition von Beginn an fehlte, war die gemeinsame Vision. Die braucht man aber!
Da ist die Sache mit dem Sparpaket – der Schuldenberg wird auch mit diesem weiterwachsen, eben nur ein bisschen langsamer. Dasselbe gilt für den Ist-Zustand, die sogenannte Krise. Verschiedene Maßnahmen können sie hier und da leichter ertragbar machen, aber um sie zu bekämpfen, braucht es tiefgreifende Ideen. Und dann die Kundus-Affäre. Zu viel Gemauschel und zu wenig Information. Aktuell haben sich dann auch noch ein Ministerpräsident und ein Bundespräsident nicht nur von ihren Ämtern, sondern auch von der politischen Bühne verabschiedet. Und der Verteidigungsminister steht ebenfalls im Verdacht, sein Amt niederlegen zu wollen. Das sind zu viele Rückschläge in nur drei Quartalen Regierungszeit.
Die Widersprüche in der gegenwärtigen Diskussion um das Sparpaket, die Wehrpflicht, oder die Gesundheitspolitik sind nur das Symptom. Die Ursache liegt woanders. Was die Politik Merkels angeht, so ist sie zuallererst flexibel. Und leider ist das auch ihr Hauptcharakterzug. Dass Merkel nun ausgerechnet mit der FDP koaliert, einer Partei, die extrem festgefahren ist, deren Politik einzig zwei Interessen hat – ihre Klientel und Steuersenkungen – wird der Kanzlerin am Ende das politische Genick brechen und zu Neuwahlen führen.
Angela Merkel kann und wird diese Krise nicht die nächsten drei Jahre aussitzen. Deswegen muss sie jetzt Position beziehen. Und wenn diese Position nicht mit der FDP vereinbar ist, wird die Kanzlerin Neuwahlen nicht verhindern können. Dann hätte sie aber wenigstens mit Haltung gepunktet.
Karola Kallweit
Lilith Becker und Karola Kallweit sind Absolventinnen der Evangelischen Journalistenschule und arbeiten als freie Journalistinnen in Frankfurt am Main.