Belgien zwischen Schock und Hoffnung: Wer wird regieren?
In Belgien spielt ein Nationalist die zentrale Rolle bei der Regierungsbildung. Bart De Wever, der das Land auf längere Sicht spalten will, ist der Wahlsieger. Für seine Reformen braucht er aber Partner.
14.06.2010
Von Marion Trimborn

Es ist eine gewaltige Erschütterung, manche sprechen gar von einem "Tsunami", der über die politische Landschaft Belgiens hinweggerollt ist. Der unerwartet klare Sieg des flämischen Nationalisten Bart De Wever stellt das Land vor die Existenzfrage. 180 Jahre nach seiner Gründung ist Belgien tief in zwei Teile gespalten - und fürchtet sich vor der Unregierbarkeit.

Denn ein Nationalist, der sich für die Unabhängigkeit Flanderns und damit letztlich für die Spaltung Belgiens einsetzt, wird nun an einer Regierung in ebendiesem Staat beteiligt sein. Mit klaren Worten hat der Flame im Wahlkampf gesagt, was er von der Einheit Belgiens hält - nämlich nichts: "Belgien ist ein gescheitertes Land." Das Amt des Premiers will der 39-Jährige allerdings nicht haben. Es liegt ihm nicht, Strukturen zu festigen, die er eigentlich abschaffen will. "De Wever ist der neue Spieler in der belgischen Politik. Wird er auch ihr Totengräber sein?", fragte die Zeitung "Le Soir" besorgt.

De Wever ist kein Rechtspopulist, nur ein Flamen-Freund

Es drängen sich Parallelen zum Nachbarland Niederlande auf, wo der Rechtspopulist und Ausländerfeind Geert Wilders bei den Wahlen in der vergangenen Woche Erfolge feierte. Doch der Belgier De Wever ist kein Rechtspopulist wie Jean-Marie Le Pen oder Jörg Haider, weil er kein fremdenfeindliches Programm verfolgt. Zudem kann er im Alleingang gar nichts erreichen: Für seine Reformen, die eine Verfassungsänderung notwendig machen, braucht er Partner. Zum Beispiel die Sozialisten.

De Wever hat den Frankophonen indirekt das Amt des Regierungschefs angeboten - wenn sie ihm in der Autonomiefrage entgegenkommen. Damit hat der Chef der französischsprachigen Sozialisten, Elio Di Rupo, Aussichten auf den Posten. Seine Partei wurde stärkste Kraft in der Wallonie. Allerdings denkt Di Rupo wie die meisten seiner wallonischen Landsleute nicht an eine Spaltung des Landes.

Ein ungleiches Paar

So ist es ein sehr ungleiches Paar, das das Schicksal des Landes in seinen Händen hält. Auf der einen Seite Bart De Wever, der als erstes das belgische Sozialsystem reformieren, sprich den vergleichsweise ärmeren Wallonen den Geldhahn zudrehen will. Bislang fließen Schätzungen zufolge jährlich rund 7 Milliarden Euro aus dem wohlhabenden Flandern ins verarmte Wallonien. Das sorgt für viel Unmut bei den Flamen.

Auf der anderen Seite Di Rupo. Gerade die Sozialisten sperren sich - wie die meisten wallonischen Politiker - gegen die Aufspaltung des Sozialsystems. Di Rupo warnte De Wever bereits vor zu scharfen Autonomiebestrebungen: "Die Bürger haben gezeigt, dass sie eine Gesellschaft des Egoismus und der Selbstverliebtheit ablehnen." Immerhin haben auch in Flandern gut 70 Prozent der Menschen nicht für die N-VA und ihre separatistische Politik gestimmt.

Zentrales Thema der Reform wird die Sprachen-Regelung im Umland der Hauptstadt Brüssel sein. Die flämischen Nationalisten wollen den umstrittenen Wahl- und Gerichtskreis Brüssel-Halle-Vilvoorde aufspalten, weil ihnen die Sonderrechte der französischsprachigen Bürger ein Dorn im Auge sind.

Ist Belgien als Staat am Ende?

Wie diesen beiden Partnern eine Staatsreform gelingen soll, ist vielen Belgiern schleierhaft. Doch der Druck der aktuellen Staatskrise hat auch sein Gutes. Nie war der Moment so günstig, um die jahrelang verschleppten Reformen anzugehen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Sollte Bart De Wever der neuen Bundesregierung angehören wollen, wird er den Wallonen und Brüsselern Zugeständnisse machen müssen. Ein Brüsseler EU-Diplomat sagte: "Belgien kann sich nur retten, wenn es sich wandelt. Sonst ist es am Ende."

Diese Botschaft scheinen auch die Politiker verstanden zu haben. "Wir wollen Brücken bauen", zeigte sich De Wever nach dem Wahlsieg versöhnlich. Niemand habe ein Interesse daran, das Land zu blockieren. Zudem scheinen sich die Belgier mehr zu sorgen als internationale Beobachter. Mit Blick auf die am 1. Juli beginnende EU-Präsidentschaft sagte eine Sprecherin der EU-Kommission: "Wir sind überzeugt, dass Belgien diese Herausforderung hervorragend meistern wird."

dpa