Umweltschützer in den USA hoffen auf Energiewende
Über sieben Wochen nach der Explosion der Bohrinsel "Deepwater Horizon" werden in den USA die Rufe nach einer Wende in der Energiepolitik lauter. Ölverschmierte Pelikane, verendete Schildkröten, in ihrer Existenz bedrohte Küstenbewohner - die Gefahren fossiler Rohstoffe sind den Amerikanern selten so drastisch vor Augen geführt worden. Ohnmächtig verfolgt das Land die vergeblichen Versuche des BP-Konzerns, die leckgeschlagene Bohrleitung zu reparieren. Umweltschützer hoffen, dass jetzt Lehren gezogen werden: Sie setzen auf den baldigen Durchbruch der erneuerbaren Energien.
14.06.2010
Von Konrad Ege

William McKibben, Umweltaktivist und Professor am Middlebury College in Vermont, sieht jenseits der aktuellen Katastrophe ein grundsätzliches Problem: Tagtäglich entstehe eine enorme Verschmutzung durch Fördern, Verarbeiten und Verbrauchen fossiler Rohstoffe, sagt der Wissenschaftler. Das nach wie vor in den Golf von Mexiko ausströmende Rohöl zeige, dass es so nicht weitergehen könne.

Der renommierte Umweltforscher und Direktor des "Earth Policy Institute", Lester Brown, glaubt, dass schnelle und tiefgreifende Änderungen industrieller Strukturen durchaus möglich sind. Als Beispiel nennt der Gründer des "Worldwatch Institutes" eine Entscheidung des früheren Präsidenten Franklin Roosevelt: Der habe im Zweiten Weltkrieg die Automobilindustrie des Landes praktisch über Nacht zur Rüstungsindustrie gemacht. Brown zieht auch einen Vergleich zur Bürgerrechtsbewegung: Damals seien in kürzester Zeit revolutionäre gesellschaftliche Veränderungen angestoßen worden.

Umdenken auch auf der Regierungsebene

Auch auf höchster Regierungsebene scheint ein Umdenken einzusetzen. Angesicht der anhaltenden Katastrophe betonte US-Präsident Barack Obama kürzlich, die USA bräuchten eine langfristige Energiestrategie. Die Zeiten des leicht förderbaren Öls gingen zu Ende - darum habe man ja mit Plattformen wie "Deepwater Horizon" meilentief am Meeresgrund gebohrt. Für Forscher McKibben sind derlei Aussagen aber noch zu unpräzise: Obama habe nur eine "sehr begrenzte Vision einer sauberen Zukunft", kritisiert er.

Für eine ambitionierte Wende in der Energieversorgung haben Umweltorganisationen und ökologische Denkfabriken bereits konkrete Pläne vorgelegt. Greenpeace etwa hält es für möglich, dass in den USA in 40 Jahren 95 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen könnten. Dazu müssten allerdings alle Subventionen für fossile Energieträger gestrichen, ein Emissionshandel eingeführt und die Energieeffizienz von Gebäuden, Maschinen und Verkehrmitteln deutlich verbessert werden. Derzeit wächst in den Vereinigten Staaten vor allem der Anteil der Windenergie.

Ölkonzerne argumentieren mit Arbeitsplätzen

Die Rufe nach einer Energiewende stoßen freilich auf den Widerstand der Öl-, Gas- und Kohle-Konzerne - und auch der vielen US-Amerikaner, deren Wohlstand davon abhängt. Selbst in dem am meisten von der Ölpest betroffenen Staat Louisiana sind nicht alle von der aktuellen Diskussion begeistert. Als Obama kürzlich entschied, Tiefseebohrungen für die kommenden sechs Monate zu stoppen, protestierten in Louisiana sowohl republikanische als auch demokratische Politiker. Denn viele Menschen in dem Bundesstaat haben Jobs auf den Bohrinseln. Das Moratorium koste möglicherweise 100.000 Arbeitsplätze, warnen die Kritiker.

Der demokratische Senator John Kerry, der in Washington als führender Umweltdenker gilt, beschwichtigte sogleich die Sorgen. "Wir werden nicht mit den Bohrungen aufhören", versicherte Kerry. 30 Prozent des Benzins der USA komme aus dem Golf - und die Amerikaner gäben nicht einfach das Autofahren auf. Deshalb müsse man realistisch bleiben.

Wandel der Energieträger "unaufhaltsam"

Öko-Forscher Lester Brown glaubt dennoch, dass der Wandel unaufhaltsam ist. Klares Indiz dafür sei die Kohleindustrie. In den USA würden praktisch keine Kohlekraftwerke mehr gebaut. Den Beteuerungen der Industrie, diesen Energieträger umweltschonender zu nutzen, schenke kaum jemand mehr Glauben. Der Ölindustrie dürfte es bald ähnlich ergehen, mutmaßt Brown. Vor allem junge US-Amerikaner seien zunehmend umweltbewusst, und das Auto haben bei vielen jungen Menschen an Status verloren. Von 2008 auf 2009 sei die Zahl der PKWs in den USA von 250 Millionen auf 246 Millionen zurückgegangen.

epd