"Polizeiruf 110: Rosis Baby", 13. Juni, 20.15 Uhr im Ersten
"Na sauber, ein Mongo" stellt Kommissar Tauber fest, als er Rosi sieht. Rosi lebt mit dem so genannten Down-Syndrom. "Mongoloid" nannte man das früher, und wer sich nicht um politische Korrektheit schert, tut das noch heute. Die Vorurteile sind ohnehin die gleichen geblieben, sogar juristisch; und davon handelt dieser herausragende "Polizeiruf 110"-Krimi aus München.
Auf einer Autobahnraststätte ist eine Frau schwer verletzt worden. Nach einem Streit mit ihrer geistig behinderten Tochter hatte sie das Lokal verlassen. Die beiden waren auf dem Weg zu einer Rosenheimer Klinik, die auf schwangere Frauen mit Behinderung spezialisiert ist: Die 19-jährige Rosi ist im dritten Monat. Offenbar wollte jemand verhindern, dass die Mutter ihre Tochter in die Klinik bringt.
Berührendes Werk
Schon allein die Namen der Beteiligten sind ein Versprechen: Regie führt der vierfache Grimme-Preisträger Andreas Kleinert („Mein Vater“), die Geschichte stammt vom Autorenduo Matthias Pacht und Alex Buresch, die unter anderem das Drehbuch zu Alain Gsponers Familiendrama „Das wahre Leben“ geschrieben haben. Und dann birgt natürlich die Konfrontation der beiden Behinderten zusätzliche Spannung. Tatsächlich gehören die Szenen zwischen dem einarmigen Kommissar und dem Mädchen zu den stärksten dieses Films. Gerade dank der famosen Verkörperung Rosis durch die junge Berlinerin Juliana Götze, die hier zum ersten Mal vor einer Kamera stand, ist „Rosis Baby“ ein ungemein berührendes Werk geworden.
Da ihre Mutter im Koma liegt, kommt Rosi bei ihrem Vater (Michael Brandner) unter, der allerdings längst in einer neuen Ehe lebt. In dieser Welt gibt es keinen Platz für Rosi, also flüchtet sie zu Tauber: Seiner schroffen Art zum Trotz hat sie ein gewisses Zutrauen gefasst, schließlich ist er ja auch behindert; selbst wenn er den Ausdruck „versehrt“ vorzieht. Obwohl sie bloß zusammen Rührei zubereiten, entsteht in diesem Moment dank Kleinerts Inszenierung, Johann Feindts Kameraarbeit und dem eindringlichen Spiel der beiden Darsteller eine ungeheure Intensität.
Natürlich hat der Film eine Botschaft. Es war Pacht und Buresch offenkundig ein Anliegen, auf einen Missstand hinzuweisen: dass Frauen mit geistiger Behinderung nicht selbst entscheiden dürfen, ob sie ein Baby zur Welt bringen können. Die Rechtslage sagt nein, weil sie angeblich die Tragweite dieser Entscheidung nicht überblicken können. Im Gegensatz zu anderen Krimis mit Mission verlieren Pacht und Buresch allerdings nie die Suche nach dem Täter aus den Augen. Hauptverdächtiger ist Rosis Freund (nicht minder eindrucksvoll: Sven Hönig), zumal am Tatort ein belastendes Indiz gefunden wird. Bis sich rausstellt, dass er sterilisiert ist und ein perfektes Alibi hat: Er wusste gar nichts von der Schwangerschaft.
Der Film bricht ein Tabu
Filme mit geistig Behinderten haben auch heute noch Seltenheitswert, von Sexszenen mit Behinderten ganz zu schweigen; in dieser Hinsicht bricht der Bayerische Rundfunk fast ein Tabu. Aber Kleinert inszeniert das ohne jedes Ausrufezeichen und fast beiläufig; die Szene hat keinen größeren Stellenwert als die Bilder aus der Behindertenwerkstatt oder von der Tanzstunde. Und dem einarmigen Tauber nimmt man auch die eigentlich abgedroschene Überlegung ab, wer in unserer Gesellschaft tatsächlich behindert sei.
Hinweis: "Rosis Baby" wurde 2009 mit dem Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche, ausgezeichnet.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).