Einer, der auszog, den Journalismus zu lehren
Journalisten sind eitel und prahlen gerne mit ihren Abenteuern. Dieses Vorurteil trifft auf Helmut Osang sicher nicht zu. Selten produziert er Stücke unter eigenem Namen. Wer ihn in seinem Büro in Bonn trifft, sieht keine Fotos auf denen er berühmten Persönlichkeiten die Hand schüttelt. Eine Stofftasche mit afrikanischem Muster lässt nur ahnen: Hier arbeitet ein journalistischer Globetrotter.
11.06.2010
Von Anja Wollschläger

Seine Geschichten sind simpel: Vox-Pop, Interview, Reportage, einfache Fragen: "Was denken Sie, wie könnte man den Verkehr aus der Stadt heraushalten?" In Teheran war diese Frage vor fünf Jahren eine Sensation, wenn sie sich an die Menschen auf der Straße richtet.

Ohne Helmut Osangs Training hätte sich das der journalistische Nachwuchs im Iran wohl kaum getraut. Und dann standen sie plötzlich doch unter freiem Himmel, junge iranische Journalisten mit Aufnahmegeräten und dieser kessen Frage auf den Lippen. Fotos auf Osangs Rechner belegen es. Der 60-jährige freut sich über solche Momente: "Und die Leute haben geredet und so etwas geht eben auch im Iran", sagt er. Ganz unterschiedliche Meinungen fördert eine einfache Frage zutage - auch in einem totalitären Regime.

Journalistische Entwicklungshilfe

Helmut Osang betreibt journalistische Entwicklungshilfe, in der Regel finanziert vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. Sein Arbeitsplatz ist die Deutsche Welle Akademie in Bonn und sein Bereich ist Asien Ganz Asien? "Ja, aber wir können ja nicht überall sein", sagt er. Dann erzählt er von Bhutan, Laos und Vietnam. Im Iran sei man jetzt nicht mehr aktiv. Und China? "Dort sind die Repressionen sehr streng. Die Kontrolle wird polizeilich durchgesetzt.", sagt er. Wie soll man dort Pressefreiheit und westliche Vorstellungen von Fairness vermitteln? Dennoch - auch in China setzt die Deutsche Welle einige ihrer meist freiberuflichen Trainer ein. An der Communications University in Peking zum Beispiel.

Laos und Peking

Wenige Tage nach dem Gespräch tourt Helmut Osang wieder durch Südostasien. Mehrere Besuche in Laos und eine Konferenz in Peking stehen an. Die eigentlichen Trainings kann er viel zu selten leiten, findet er. Dafür sind die rund 200 freien Mitarbeiter zuständig, die er und seine Kollegen in die Welt schicken. Sie erklären irgendwo in Arabien, wie man ein Archiv organisiert, in Afrika, wie man einen Hörfunkbeitrag baut, oder entwickeln Frühstücksradio für Bhutan. Dabei geht es nicht darum, überall in der Welt Medien nach deutschem Muster aufzubauen. Auch "Demokratisierung" hält Osang für zu hoch gegriffen. "Partizipation", das sei doch schon ein großer Schritt, wenn in den Medien die Normalbürger überhaupt zu Wort kommen. Wo beim Fernsehen "Informationsbeamte" die Meldungen aus der Zeitung verlesen, da ist das westliche Verständnis von Pressefreiheit ein gedanklich sehr weiter Weg.

Die Trainer der Deutsche Welle kommen nie von sich aus. Sie werden gerufen - von laotischen Intendanten und nepalesischen Privatsendern. Dann beginnt eine langfristige Zusammenarbeit. Ein Training folgt auf das nächste. Dazwischen liegen einige Wochen Praxis und irgendwann ist ein großer Schritt getan, so wie in Bhutan. Die Morningshow hat sich etabliert.

Nicht WDR 5

Wie hört sich Radio an in Bhutan? Osang lacht: "Na ja, sicher nicht wie SWR 3 oder WDR 5". Die Sprechhaltung ist getragen. Wortbeiträge dauern vier Minuten oder mehr, die Musik ist ganz anders. Vor der ersten Sendung kam ein Mönch und machte eine Zeremonie mit Räucherstäbchen.

Laos – hier schlägt der Familienvater Osang seit einiger Zeit öfters seine Zelte auf. Der staatliche Fernsehsender dort hat ein Problem: die Nachbarn. Während auf dem eigenen Sender pflichtbewusst verlesen wird, welcher Staatssekretär heute auf Reisen war, sehen die Bürger lieber die Unterhaltung im Thai-Fernsehen. Kinder hören öfters Thai als ihre eigene Sprache. Das passt den staatlichen Stellen in Laos nicht und sie wollen ihr Programm mit Hilfe der Deutschen Welle auflockern. Also kommen die Bonner mit ihrem journalistischen Wissen im Gepäck.

Typische Pressemitteilung der Regierung

Wieder heißt es: Vox Pop, Reportage, Interview und Nachrichtenschreiben. Die journalistische Schere im Kopf ist auch in Laos viel stärker, als der Stift des Zensors. Ein Beispiel? Osang reproduziert eine typische Pressemitteilung der Regierung: "Der Gouverneur so und so kam mit folgenden Beamten in das Dorf und sprach mit … und so weiter. Ganz am Ende der Mitteilung erst wurde erwähnt, dass die örtliche Fabrik demnächst einhundert weitere Arbeiter einstellen wird." Doch dies als Hauptnachricht zu vermitteln, kam nicht in den Sinn der Trainingsteilnehmer. Wie auch? Schließlich verstanden sie sich bis dahin vor allem als Erfüllungsgehilfen der Regierung. Die Sicht der Zuschauer einzunehmen – das trainierten sie mit der Deutschen Welle.

Und dann sei der Punkt gekommen, an dem die Journalisten tatsächlich ihre Grenzen erfahren hätten: Bei einer Übungsrecherche deckten sie auf, wie schlecht die örtliche Regierung die Löhne für die Arbeiter mit einem thailändischen Fabrikanten ausgehandelt hatte. Eine Geschichte? "Ja, aber das konnten die nicht bringen. Kritik an der Regierung ist in Laos nicht möglich", sagt Osang.

Niemand ins Gefängnis bringen

Er ist vorsichtig: "Ich möchte niemanden ins Gefängnis bringen", sagt er. Dabei sei Laos inzwischen recht liberal. Das Internet ist frei zugänglich, ins Gefängnis kamen Journalisten schon seit längerem nicht mehr. Dennoch: Osang arbeitet in Laos in einem Land der "Feinde der Pressefreiheit", wie Reporter ohne Grenzen es ausdrückt. In der aktuellen Liste der unabhängigen Organisation steht Laos Regierung auf Platz siebzehn von vierzig weltweit. Negativer Anführer der Liste auf Platz eins ist Eritrea, wo Journalisten offiziell verhaftet werden oder plötzlich verschwinden. Schlimmer als in Laos sei es in Kambodscha, sagt Osang: "Journalisten leben dort sehr gefährlich." Die Deutsche Welle unterstützt dort zwei unabhängige Radiostationen.

Vielleicht wird es ja eine Erfolgsgeschichte, wie in Nepal. Dort war die Akademie 1997 beim Aufbau des ersten unabhängigen Radiosenders dabei. Heute unterstützt sie den Dachverband der Privatradios. Als 2006 der König abdankte, setzte sich Osang im übertragenen Sinn den Feuerwehrhelm auf: "Wir haben innerhalb von vier Wochen sechs Schulungen zur Wahlberichterstattung gemacht."

Unterwegs in Afrika

Seit 17 Jahren ist Osang festangestellter Trainer bei der Deutschen Welle. Oft war er in Afrika unterwegs. "Damals in den 8oern", so erzählt er "da ging es ja auch um die weltweite Nachrichtenverteilung. Fünf große westliche Agenturen beherrschten die Nachrichten für die Welt." Da engagierte er sich für die afrikanischen Medien. Leidenschaftliche Diskussionen führt man dort on Air, erzählt er: "Da wird richtig palavert im Radio, sehr lebendig." Davon könnte man hierzulande auch etwas lernen.

Afrika, China, Bhutan, Iran – kann man überhaupt in so vielen unterschiedlichen Kulturen das selbe Verständnis von Journalismus voraussetzen? Osang sagt: "Ja" Er glaubt an universelle Normen. Die hat er bisher noch überall zu Grunde gelegt: Wahrhaftigkeit, Faktentreue, Fairness, Klarheit. Und dann erklärt er das Handwerkszeug. Osang hält die Hand auf und tippt auf seine Finger: "Wer, wie, wo, was, wann und in der Handfläche sage ich dann immer warum." Er nennt das: Fragen an die Realität stellen.


Anja Wollschläger ist freie Journalistin und schreibt gelegentlich für evangelisch.de.