Leben mit Straftäter: Ein Dorf hat Angst
Gefährlicher Ex-Häftling lebt in kleinem Dorf - dafür steht Randerath. Nach über einem Jahr beenden die Bürger ihren Protest, die Medien verschwinden, Karl D. bleibt. Das Dorf muss mit ihm leben.

Karl D. ist wie ein Phantom. Jedes Kind kennt seinen Namen, kann sein Wohnhaus im fiktiven Bannkreis des Dorfes zeigen. Niemand in Randerath ist so präsent wie dieser Mann, der drei Schülerinnen vergewaltigte und zwei am Unterleib verstümmelte und dafür knapp 20 Jahre im Knast saß. Und doch wissen nur wenige, wie er überhaupt aussieht. Selbst wenn er leibhaftig in Erscheinung tritt, nimmt ihn kaum jemand bewusst wahr. Alexander Schmitz drückt es so aus: "Da ist halt noch jemand. Dieses Problem ist allgegenwärtig."

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Besonders abends um 18 Uhr. Über ein Jahr lang bauten sich zu diesem Zeitpunkt Bürger vor dem Haus auf, in dem der Mann lebt, und machten ihrer Empörung Luft, anfangs ungehemmt, zuletzt moderater. An insgesamt 466 Tagen. Am Mittwoch gaben sie auf. Nach der Auflage eines Gerichts dürfen sie ihre "Mahnwachen" nicht mehr direkt vor dem Haus abhalten. Und dann hat es keinen Zweck mehr, meinen sie.

Rechtliche Schritte ausgeschöpft

Als Ortsvorsteher in dem Dorf bei Heinsberg mit gerade mal 1.400 Einwohnern ist Alexander Schmitz so was wie ein Vertrauensmann. Aber bei Karl D. weiß er auch nicht mehr weiter. "Alle rechtlichen Schritte sind ausgeschöpft. Von daher ist nicht mehr viel zu erwarten." Auch Schmitz spricht immer nur von "Karl D.", wie um seine Distanz zum Ausdruck zu bringen.

Nachträgliche Sicherungsverwahrung - den Begriff kennen sie hier alle. Gemeint ist damit, dass ein besonders gefährlicher Täter nach Verbüßung seiner Strafe in Haft bleibt, um die Bevölkerung zu schützen. Stellt sich die Gefährlichkeit erst im Strafvollzug heraus, kann die Sicherheitsverwahrung nachträglich verhängt werden.

Harter Kern der Demonstranten

An diese Möglichkeit hatten sich die Randerather geklammert, bis zur abschlägigen Entscheidung des Bundesgerichtshofs im Januar. Der 58-jährige Ex-Häftling darf damit weiter in Freiheit leben. "Das war wie ein Einschnitt. Plötzlich kamen viel weniger Leute zu der Mahnwache", sagt Emmi Haus (65) an ihrem letzten Protestabend. Sie gehörte zum kleinen harten Kern der Demonstranten.

Die Demo gefiel nicht jedem im Dorf. Früher hat sich Emmi Haus mit kleinen Näharbeiten etwas dazuverdient. Seit sie an den Versammlungen teilnimmt, bleibt die Kundschaft weg. "Es ist niemand mehr gekommen", sagt sie. Sie sieht diese Leute auf der Straße, sie duzt sie wie immer, aber niemand sagt ihr was.

Observierung durch die Polizei

Die sanftmütig wirkende Frau mit offenem Blick weiß, wie das Phantom aussieht. Einmal ist Karl D. ihr begegnet als sie ihren Hund ausführte. "Scheiß Kinderschänder verschwinde!", hat sie ihn angefaucht. "Halt die Schnauze", kam von ihm.

Jetzt, wo die Protestler abgezogen sind, erinnern äußerlich nur noch die Polizisten in Zivilfahrzeugen daran, dass hinter der idyllischen Dorfkulisse Gefahr lauert. Die Polizisten observieren Karl D. rund um die Uhr, seit über einem Jahr. Das beruhigt die Leute etwas. "Die Observation wird so lange fortgesetzt, wie es keine andere Gefahrenprognose gibt", sagt der Heinsberger Kreisdirektor Peter Deckers.

Untertauchen in der Anonymität

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat im Dezember entschieden, dass die rückwirkende Sicherungsverwahrung ein Verstoß gegen die Menschenrechtskonvention ist. "Viele Sicherungsverwahrte werden nun ihre Entlassung anstreben", vermutet Deckers. Das werde sich auf die ohnehin dünne Personaldecke der Polizei auswirken.

Randerath wird immer ein Sonderfall bleiben. In ähnlichen Fällen tauchen freigelassene Täter in der Anonymität unter. Dagegen hatte in Randerath der Landrat Stephan Pusch in einem ungewöhnlichen Schritt die Bevölkerung alarmiert, als der gefährliche Ex-Gefangene zu seinem Bruder in den kleinen Ort bei Aachen gezogen war.

"Was soll man machen"

Die Menschen haben sich eingerichtet. "Meine Tochter darf nicht mehr allein unterwegs sein, nur noch zu zweit oder zu dritt", erzählt eine Frau in der Bäckerei. "Was soll man machen."

"Die Kinder dürfen nicht mehr allein raus", sagt auch Ulrich Mathissen und meint seine beiden Enkelkinder, die nur zwei Straßen von Karl D. entfernt wohnen. "Solange der hier ist, können die nicht frei leben."

Es gab immer mal Gerüchte, dass Karl D. wegziehen würde. In Randerath will man nicht daran denken, was das für den nächsten Ort bedeuten würde. "Wir haben lange genug damit zu tun gehabt", sagt Ortsvorsteher Schmitz.

Macht Karl D. eine Therapie?

Vielleicht ist ein Trost, eine Hoffnung, dass Karl D. nun offenbar immerhin zu einer Therapie bereit scheint. Im vergangenen Jahr nach hatte er nach einem Aufnahmegespräch in den Rheinischen Kliniken Langenfeld eine freiwillige stationäre Therapie verweigert. Nun gebe es Hinweise, "dass er eine ambulante Therapie macht", sagt Kreisdirektor Peter Deckers.

dpa