TV-Tipp: "Inspektor Barbarotti: Mensch ohne Hund" (ARD)
Sie glauben, Fernseh-Krimis sind eigentlich vorhersehbar? Dann schauen sie sich "Mensch ohne Hund" (ARD) an und lassen sie sich auf ein wortreiches Spiel mit Erwartungen ein.
10.06.2010
Von Tilmann P. Gangloff

10.6., ARD, 20.15 Uhr: "Håkan Nessers Inspektor Barbarotti: "Mensch ohne Hund"

Es liegt in der Natur des Genres, dass in Krimis viel geredet wird. Zeugen müssen vernommen werden, Entwicklungen analysiert, Motive erwogen; und je verzwickter ein Fall ist, desto größer ist der Gesprächsbedarf. So wortlastig wie dieser Auftakt zur neuen Schweden-Krimireihe nach Håkan Nessers "Barbarotti"-Romanen aber geht es in Fernsehfilmen selten zu: Wenn der Inspektor nicht gerade Vernehmungen durchführt, Kollegin Eva (Nina Kronjäger) über die jüngsten Entwicklungen informiert oder die 18jährige Tochter (Henriette Confurius) beim Liebeskummer tröstet, sucht er den Dialog mit Gott.

Das allerdings ist das originellste Merkmal dieser Figur. Seit seiner Scheidung treibt Barbarotti ein Spiel mit dem Herrn. Immer wieder fordert er ihn auf, die Gegebenheiten zu Gunsten des Ermittlers zu beeinflussen, jedes Mal verbunden mit einer gewissen Punktzahl. Abgerechnet wird zum Schluss: Sollte Gott am Ende mehr Plus- als Minuspunkte haben, wird Barbarotti seine Existenz anerkennen. Und der Einsatz lohnt sich durchaus: Die hübsche alleinerziehende Strandschönheit (Suzan Anbeh) ist dem Inspektor ebenso sechs Punkte wert wie die zufällige Begegnung auf einer Hochzeit, die seinen Ermittlungen eine völlig neue Wendung gibt.

Perfides Spiel mit den Erwartungen der Zuschauer

Für die Entwicklung des Falls hat sich Nesser, dessen Roman von Serkal Kus adaptiert wurde, ein besonders perfides Spiel mit den Erwartungen einfallen lassen. Während sich in Krimis zwei Ereignisse, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, in der Regel als verschiedene Seiten der selben Medaille entpuppen, ist es hier gerade umgekehrt: Als nach der Geburtstagsfeier eines patriarchalischen Familienoberhaupts (Vadim Glowna) erst Sohn Walter und dann Enkel Henrik verschwinden, geht die Polizei naturgemäß davon aus, dass beide Vorfälle zusammengehören. Tatsächlich finden sich später in der Tiefkühltruhe einer offenkundig geistesgestörte Frau zwei zerstückelte Männerleiche. Die eine ist Walter; aber die andere ist nicht Henrik.

Jörg Grünler verzichtet bei seiner Umsetzung auf praktisch jede Form von Dynamik. Gelegentliche Spaziergänge sind das größte Ausmaß an Bewegung. Auch bei den wenigen Außenaufnahmen dominiert ein ruhiger Blick auf die Szenerie. Diese Art der Inszenierung hat den Vorteil, dass die Schauspieler viel zu tun haben und entsprechend zur Geltung kommen. Vadim Glowna zum Beispiel genügen wenige Momente, um anzudeuten, welcher Despot der Familienvater ist. Sylvester Groths Zwiegesprächen zu lauschen, ist ohnehin ein Vergnügen. Trotzdem könnte der Krimi die Erwartungen enttäuschen, zumal man gerade durch das Übermaß an Informationen zwischenzeitlich den Überblick verlieren kann.


Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).