Deutschland ohne Zivis? Die Überlegungen laufen schon
Der Zivi steht auf der Liste der bedrohten Arten. Wenn die Wehrpflicht gekippt werden sollte, verschwindet auch der Ersatzdienst. Wie aber geht es dann in Krankenhäusern und Pflegeheimen weiter?
09.06.2010
Von Christoph Driessen

Gibt es ein anderes zweisilbiges Wort, das ähnlich positiv besetzt ist wie Zivi? Es zaubert uns in Sekundenbruchteilen das Bild junger Männer vor Augen, die Rollstuhlfahrer durch den Park schieben, Kranke füttern und Klinikbetten frisch beziehen. Eine Erfolgsgeschichte, die tief im Kalten Krieg begann, als man "Kriegsdienstverweigerer" noch als "Drückeberger" bezeichnete. Doch mittlerweile muss man um die Zukunft des Zivis fürchten. In ein paar Jahren wird es ihn vielleicht schon nicht mehr geben.

Mit Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hat erstmals ein Verteidigungsminister die Wehrpflicht infrage gestellt. Denkverbote gibt es nicht mehr - bis September sollen Vorschläge für eine "großangelegte Streitkräftereform" gemacht werden. "Mit Wegfall der Wehrpflicht hätte aber auch der Zivildienst keine Grundlage mehr", erläutert Johannes Freiherr Heeremann, geschäftsführender Präsident des Malteser-Hilfsdienstes, der Nachrichtenagentur dpa. Würde die Versorgung in Krankenhäusern und Pflegeheimen dann zusammenbrechen? Nein, denn die Zivis dürfen keine wesentlichen, sondern nur unterstützende Aufgaben übernehmen.

Die frei werdenden Gelder für das FSJ ausgeben

Aber genauso richtig ist: Es würde noch kälter werden in jenen Räumen, in denen die meisten von uns ihren letzten Lebensabschnitt verbringen werden. Ein sehr kranker Mensch, der jetzt noch von einem Zivi gefüttert wird, bekäme dann eine Magensonde. Eine Frau im Rollstuhl, die jetzt noch zu Hause versorgt wird, müsste ins Pflegeheim wechseln.

Die großen Verbände, die die meisten Zivi-Plätze bereitstellen, regen für den Fall einer Abschaffung des Zivildienstes einen Ausbau des Freiwilligen Sozialen Jahrs (FSJ) an. "Wir brauchen da weitere Mittel", fordert der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, im Gespräch mit der dpa. Geld dafür wäre ja prinzipiell da, wenn der Zivildienst wegfallen würde. Genauso sieht es Frank Johannes Hensel, Caritas-Direktor für das Erzbistum Köln: "Mein Vorschlag wäre, das Freiwillige Soziale Jahr attraktiver zu machen." Nach Darstellung Schneiders gibt es ein großes Interesse an einem solchen Beitrag zum Allgemeinwohl: "Wir können im Moment nicht alle nehmen."

Verbände wollen endlich klare Aussagen

Das aber wird aus Regierungskreisen bestritten. Dort heißt es: Jeder, der ein solches Jahr machen will, findet auch einen Platz. Es gebe schlicht keine Wartelisten. Die Annahme, dass sich auch nach Abschaffung des Zivildienstes freiwillig Zehntausende zum Dienst am Nächsten bereiterklären würden, ist möglicherweise zu optimistisch. Ein Problem wäre auch: Würde die Bezahlung für das FSJ aufgestockt, würde sie bald das Niveau von Pflegeschülern erreichen - da entstünde dann eine Konkurrenz, die nicht gewollt ist.

Die Verbände fordern in jedem Fall klare und definitive Entscheidungen von der Bundesregierung, die ja erst gerade eine Verkürzung der Wehrpflicht - und damit des Zivildienstes - von neun auf sechs Monate beschlossen hat. "Ganz wichtig ist, dass man die Träger des Zivildienstes nicht permanent mit neuen Vorschlägen irritiert", kritisiert Schneider. "Man sollte keine politische Nonsens-Diskussion führen. Runterfahren auf sechs Monate war ja schon ein politischer Kompromiss. Mit solchen Scheinlösungen möge man uns doch bitte verschonen."

Heeremann gibt zu bedenken: "Für unsere Gesellschaft ist es ein unschätzbarer Gewinn, wenn künftige Wirtschaftsbosse, Wissenschaftler, Verwaltungsfachleute und Techniker in ihren jungen Jahren die Verletzlichkeit und Hilfsbedürftigkeit des Menschen, seine Würde auch in der Schwäche, erlebt haben."

dpa