"Tatort: Heimwärts", 6. Juni, 20.15 Uhr im Ersten
"Pflege ist Vertrauenssache" lautet der Werbeslogan eines Pflegedienstes in diesem "Tatort" aus Leipzig. Die Brisanz des Themas ist offenkundig, der Notstand bekannt: vielen Menschen fehlt die Zeit, sich persönlich rund um die Uhr um ihre alt gewordenen Eltern zu kümmern, aber das Geld für ein menschenwürdiges Altenheim haben sie auch nicht. Pflegedienste sorgen für die Kompromisslösung; und nun kommt das Vertrauen ins Spiel.
Autorin Heike Rübbert beschreibt in ihrer Geschichte, wohin es führen kann, wenn dieses Vertrauen missbraucht wird. Als Bösewicht wurde Dirk Borchardt besetzt, mit seinen kantigen Gesichtszügen und dank einer einschlägigen Filmografie ohnehin ein perfekter Verdächtiger. Er spielt Mike Breuker, den Geschäftsführer eines Pflegedienstes. Schon der Firmenname "BreuCare 24" deutet die Sorgfalt an, mit der diese Geschichte auch im Detail erzählt wird.
Pflegedienst des Vertrauens
Breuker ist ein richtig schlimmer Finger, und das nicht nur, weil er die Krankenkassen betrügt: Eine seiner Mitarbeiterinnen, die junge Pflegehelferin Anna, gewinnt mit ihrer offenen Art das Vertrauen der alten Leute und bringt sie dazu, Breuker als Universalerben einzusetzen. Als Gegenleistung verspricht er ihnen einen Platz in seinem allerdings noch gar nicht existierenden Seniorenheim. Eines Tages wird Anna tot im Waschkeller gefunden, niedergestochen mit einer Schere. Hat sie Breuker erpresst? Oder steckt ihr Freund dahinter, der eifersüchtige Bestattersohn (Stefan Konarske)?
Immer wieder verlassen Autorin Rübbert und Regisseur Johannes Grieser die Krimi-Ebene, um den abstrakten Begriff Pflegenotstand anhand eines konkreten Beispiels mit Leben zu füllen: Familie Holst kommt gerade so über die Runden. Beide Eltern (Johanna Gastdorf, Karl Kranzkowski) arbeiten, Tochter Svenja (Nina Gummich) träumt vom Schüleraustausch in Amerika, muss sich aber nach Annas Tod um ihren Opa kümmern; eine Pflegekraft können sich die Eltern nicht leisten. Gerade die Szenen mit dem verwirrten alten Herrn (Joachim Tomaschewsky) sind sehr anrührend.
Trauriges Schicksal
Weil sich Hauptkommissar Keppler (Martin Wuttke) seiner annimmt, bieten sich Heike Rübbert diverse Gelegenheiten, um das traurige Schicksal des Mannes zu verdeutlichen. Natürlich ist es erschütternd, wenn der überforderte Sohn die Beherrschung verliert und seinem Vater Gewalt antut. Aber am berührendsten ist eine ganz stille Szene, in der Karl Holst einen lichten Moment hat und Keppler seine größte Angst gesteht: dass er auch noch die Erinnerung an seine Frau verliert.
Grieser inszeniert den Film zunächst mit einer für den Sonntagstermin erstaunlichen Dynamik (Kamera: Wolf Siegelmann), doch das legt sich wieder. Übermäßig spannend ist der Krimi zwar nicht, aber dank der Konzentration auf das Thema, einer dichten Erzählweise und Griesers konzentrierter Regie erreicht „Heimwärts“ dennoch eine große Intensität. Völliger Fremdkörper ist allerdings ein Nebenstrang mit Hauptkommissarin Saalfeld (Simone Thomalla), die sich große Sorgen um ihre Mutter macht. Die Parallelhandlung soll wohl das Pflegethema reflektieren; allerdings macht Mutter Saalfeld dafür einen viel zu rüstigen Eindruck, zumal Darstellerin Swetlana Schönfeld nicht mal sechzig ist.
Der Autor unserer TV-Tipps, Tilmann P. Gangloff, setzt sich seit über 20 Jahren als freiberuflicher Medienkritiker unter anderem für "epd medien" und verschiedene Tageszeitungen mit dem Fernsehen auseinander. Gangloff (geb. 1959) ist Diplom-Journalist, Rheinländer, Vater von drei Kindern und lebt am Bodensee. Er gehört seit Beginn der 1990er Jahre regelmäßig der Jury für den Adolf-Grimme-Preis an und ist ständiges Mitglied der Jury Kinderprogramme beim Robert-Geisendörfer-Preis, dem Medienpreis der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).