Das Lena-Wunder sollte für uns selbstverständlich sein
Pointierte Anmerkungen zu Politik und Zeitgeschehen: Als erfahrener Journalist ist Ernst Elitz gewohnt, den Mächtigen kritisch auf die Finger zu schauen, harte Worthülsen zu knacken und das Zeitgeschehen bisweilen bissig zu kommentieren - diesmal erklärt er, warum für unabhängige Köpfe in hohen Staatsämtern kein Platz ist, wer im Nahen Osten Recht hat und wer nicht, und warum Lena Meyer-Landrut so großen Erfolg beim Grand Prix hatte. Jede Woche beantwortet Ernst Elitz drei Fragen für evangelisch.de.
04.06.2010
Die Fragen stellte Bernd Buchner

evangelisch.de: Mitten in der Krise tritt der Bundespräsident zurück. Was lernen wir aus diesem Vorgang und aus der etwas verqueren Suche nach einem Nachfolger?

Ernst Elitz: Es gibt in unserem Land kaum unabhängige Vordenker und Verteidiger von Bürgerinteressen, die sich in der Öffentlichkeit bekanntmachen können und auf deren Stimme der Bürger hört. Das Band der Sympathie umweht eher Fußballstars, Fernsehentertainer und Popidole. Sie sind geistig weniger anstrengend. Es lohnt nicht, die Medien dafür verantwortlich zu machen. Würden sie den Interessen des Publikums nicht folgen, wären sie pleite oder würden unter schwerstem Quotenschwund leiden. Die Ursachen liegen tiefer. In einer Wohlfühlgesellschaft, die jedem verspricht, seine Sorgen mit Geld von oben zu heilen, kann sich kein Sinn für gesellschaftliches Engagement und lebendigen Meinungsaustausch entwickeln. Aber ein solches Klima wäre nötig, damit unabhängige Köpfe auch in höchsten Staatspositionen wirken könnten.

evangelisch.de: Die israelische Armee entert ein Schiff mit Gaza-Hilfslieferungen. Wer soll eigentlich noch entscheiden, wer im Nahostkonflikt der Gute und der Böse ist?

Ernst Elitz: Ich will nicht die hehren Begriffe von gut und böse bemühen. Aber auf die Frage, was wäre nötig, damit ein einigermaßen akzeptables Zusammenleben im Nahen Osten erreicht werden kann, antworte ich gern. Voraussetzungen dafür sind eine parlamentarische Demokratie, Freiheit der Meinungsäußerung und freie Presse, ein Bildungssystem ohne ideologische oder religiöse Scheuklappen, Achtung vor dem Nachbarn unabhängig von Geschlecht, Herkunft und Religion, Verzicht auf Drohungen, Entführungen, Angriffe und Militärattacken. Auf der 100-Prozent-Skala hat die Hamas davon nicht einmal zehn Prozent, die Fatah vielleicht 50 Prozent und Israel an die 80 Prozent erreicht. Nun können Sie entscheiden, was für Sie gut oder böse ist.

evangelisch.de: Deutschland einig Lena-Land: Steckt in der Freude über das Grand-Prix-Frolleinwunder auch die Sehnsucht, die vielen Krisen für einen Moment vergessen zu können?

Ernst Elitz: Sehnsucht mag dabei sein. Aber es ist vor allem die Freude, dass hier eine natürliche und selbstbewusste junge Frau auftritt, vollkommen unaufgedonnert, die ihre Talente entwickelt hat, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Dass sie damit Erfolg hat, ist auch der Erfolg einer guten Erziehung und der richtigen Freunde. Auf uns wirkt das wie ein Wunder. Wir wären weiter mit unserem Land, wenn das Wunder eine Selbstverständlichkeit wäre. Übrigens Hannover ist die Hauptstadt der "Neuen selbstbewussten Frau": Ich sage nur Käßmann, Lena, Aygül Özkan und Ursula von der Leyen. Zwei davon hat Christian Wulff entdeckt. Wenn das kein Programm für seine Präsidentschaft ist.


Prof. Ernst Elitz, Jahrgang 1941, lebt als freier Publizist in Berlin. Nach seinem Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften, Politik und Philosophie kam er über Stationen wie den "Spiegel" und das öffentlich-rechtliche Fernsehen zum Deutschlandradio, das er als Gründungsintendant von 1994 bis 2009 leitete.