Köhler-Rücktritt: Fehlende Achtung vor dem Menschen
Horst Köhler ist gestern zurückgetreten. Fabian Vogt von der Evangelischen Kirche In Hessen und Nassau mit einer Andacht zum einem überraschenden Abgang des Bundespräsidenten.
01.06.2010
Von Fabian Vogt

Moment mal: Letzte Woche verkündet Roland Koch seinen Rücktritt, jetzt Horst Köhler. Was ist denn da los in der Politik? Verlassen die Ratten das sinkende Schiff? Oder was? Ich meine: Die Jungs wussten doch, wie lange ihre Amtszeit dauert, als sie sich zur Wahl gestellt haben. Und dass man als Politiker nicht immer mit Samt-handschuhen angefasst wird, dürfte auch bekannt gewesen sein.

Irgendwas ist da passiert bei Horst Köhler. Etwas Ernsthaftes. Sonst hätte er nicht so tief verletzt alles hingeschmissen. Er selbst sagte in der Pressekonferenz, die Kritik an seinen Äußerungen zu Afghanistan lasse "den Respekt vor seinem Amt vermissen". Für ihn ist offensichtlich eine Grenze überschritten worden. Ob das wirklich so war oder nicht, kann ich nicht beurteilen.

Ich weiß aber, dass sie viel zu oft überschritten wird: nämlich die Grenze zwischen einer notwendigen Kritik an dem, was jemand sagt und der Kritik an einer Person. Natürlich darf man über Inhalte streiten – auch hart und kontrovers. Aber wenn dabei Personen verunglimpft und beschimpft werden, ist das eine Schande für unsere politische Kultur.

Achtung vor dem Menschen

Allerdings muss ich Horst Köhler in einem Punkt widersprechen. Beschimpfungen, Unterstellungen und Beleidigungen lassen nicht den Respekt vor dem Amt des Bundespräsidenten vermissen. Mit dem Amt hat das wenig zu tun. Es geht grundsätzlich um Menschenwürde: Wer sein Gegenüber unsachlich in den Schmutz zieht, dem fehlt die Achtung vor dem Menschen. Traurig, aber wahr.

Wenn es eines gibt, was die Politik von Jesus lernen kann, dann, dass der Sohn Gottes jedem Menschen mit Respekt begegnet ist. Denn wer im anderen einen von Gott geliebten Menschen sehen kann, der wird ihn auch achten – ganz gleich, welche Meinung er vertritt.


Die Andacht wurde im Radiosender hr3 gesendet. Wenn Sie Fragen haben, zu Gott, zum Glauben oder zur Kirche, dann schicken Sie einfach eine Mail: Momentmal@hr3.de

Fabian Vogt lebt und arbeitet seit 2008 im charmanten Vordertaunus. Teils als Gemeindepfarrer, teils als freischaffender Künstler und Schriftsteller – nachdem er viele Jahr in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau mit der Entwicklung innovativer Gottesdienstmodelle beauftragt war. Seit seinen Studien (Theologie, Germanistik, Gesang und Theaterwissenschaften) genießt der "hr3-Pfarrer" das schöpferische Eintauchen in die Phantasie und die künstlerische Auseinandersetzung mit theologischen Grundfragen. Für seinen Roman "Zurück" erhielt Fabian Vogt den "Deutschen Science Fiction Preis".