Amtsverzicht mit Tränen in den Augen
Während die Journalisten noch über den Grund für die kurzfristige Einladung ins Schloss Bellevue rätselten, hatte Präsident Köhler bereits seine Rücktrittserklärung vorbereitet.
31.05.2010
Von Frank Rafalski

Das Rätselraten war zunächst groß. Noch nie hatte ein Bundespräsident so kurzfristig die Presse zu sich gerufen, ohne dass auch nur ein Hauch einer Ahnung kursierte, um was es denn gehen könne. "Er will zu dem Thema Bundeswehr und Afghanistan noch mal etwas sagen", meinten angebliche Köhler-Kenner. Andere spekulierten, er werde vielleicht ein anderes Thema aufbringen, um die Interviewpanne auf dem Rückflug von seinem kurzen Afghanistan-Besuch vor gut einer Woche aus den Schlagzeilen zu holen.

Dass eine missverständlich formulierte Antwort auf eine harmlose Frage zur Rolle der Soldaten am Hindukusch zu einem Präsidentenrücktritt führen kann - diese Idee tauchte in der Stunde zwischen Ankündigung und Vollzug der Presseerklärung Köhlers nur in den Witzeleien wartender Reporter auf. Als sich dann kurz nach 14.00 Uhr die Tür zum Langhans-Saal im ersten Stock vom Schloss Bellevue öffnete und ein eher zögernder Bundespräsident an das schwarze Rednerpult mit dem Bundesadler trat, stockte allen vor Verblüffung der Atem: "Ich erkläre hiermit meinen Rücktritt vom Amt des Bundespräsidenten - mit sofortiger Wirkung."

Als erstes Staatsoberhaupt

Köhler kämpfte mit einem Kloß im Hals, seine Frau Eva Luise blickte versteinert auf die Pressetribüne. Die knapp 20 Zeilen umfassende Erklärung war in wenigen Minuten verlesen. Die Sensation war perfekt: Der neunte Bundespräsident hatte als erstes Staatsoberhaupt der Bundesrepublik Deutschland soeben seinen sofortigen Abgang verkündet.

Die Gründe für den völlig unerwarteten Schritt - den manche gleich auch als Kurzschlusshandlung deuteten - ließ Köhler mit seiner Stellungnahme weitgehend offen. "Ich bedauere, dass meine Äußerungen in einer für unsere Nation wichtigen und schwierigen Frage zu Missverständnissen führen konnten", sagte er zunächst. In dem Interview auf dem Rückflug aus Masar-i-Scharif hatte Köhler weitschweifig über den Zusammenhang von Militäreinsätzen und freien Handelswegen gesprochen. Da die Frage des Radioreporters zu Afghanistan gestellt war, musste auch die Antwort in diesem Zusammenhang gehört und gelesen werden.

"Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung"

Das wollte Köhler nicht auf sich sitzen lassen. "Die Kritik geht aber so weit, mir zu unterstellen, ich befürwortete Einsätze der Bundeswehr, die vom Grundgesetz nicht gedeckt wären", verlas er nun in seiner Erklärung. "Diese Kritik entbehrt jeder Rechtfertigung. Sie lässt den notwendigen Respekt für mein Amt vermissen." Die Botschaft: Köhler sieht das Amt beschädigt.

Dass Köhler wegen eines verpatzten Interviews zurücktritt, ließ alle zunächst ratlos zurück. Seine zweite Amtszeit seit Mai 2009 stand nicht unter einem guten Stern. Ständig gab es Medienberichte, er sei zu wenig präsent. In seinem Amt rumorte es auch. Viele Vertraute verließen aus verschiedenen - manchmal auch nur privaten Gründen - das Bundespräsidialamt.

Rücktritt aus Verärgerung?

Es entstand der Eindruck, Köhler habe nichts mehr zu sagen. Dass dies jedoch ausreichen sollte für einen plötzlichen Rücktritt aus Verärgerung? "Er ist eben kein Politiker, der so etwas wegsteckt", hörte man in ersten Kommentaren im Regierungsviertel. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe Köhler nicht genügend geschützt vor Angriffen aus der Opposition, war eine andere Lesart. Bei den Menschen außerhalb des Berliner Politik-Betriebs gab es oft Kopfschütteln. "Er hat doch alles jut jemacht bis jetzt ...", meinte ein Berliner Taxifahrer, als er von dem Präsidentenrücktritt hörte.

dpa