Bundespräsident tritt zurück - Neuwahl im Juni
Paukenschlag in Berlin: Bundespräsident Horst Köhler tritt in einem historisch einmaligen Schritt zurück. Hintergrund sind seine umstrittenen Äußerungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Bis zur Wahl eines Nachfolgers, die laut Grundgesetz binnen 30 Tagen stattfinden muss, übernimmt als derzeitiger Bundesratspräsident der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) die Amtsgeschäfte. Unterdessen kam aus der SPD der Vorschlag, Margot Käßmann zur Bundespräsidentin zu wählen.

Zur Begründung seines Rückzugs erklärte Köhler am Montagmittag in Berlin, die Unterstellung, er habe einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung von Wirtschaftsinteressen befürwortet, entbehre jeder Rechtfertigung. Das lasse den notwendigen Respekt vor dem höchsten Staatsamt vermissen. Köhler hatte am 22. Mai in einem Deutschlandfunk-Interview Auslandseinsätze der Bundeswehr auch mit der Wahrung deutscher Wirtschaftsinteressen begründet und damit eine heftige Debatte ausgelöst. Später ließ er seine Äußerungen präzisieren. Ein Sprecher sagte in der vergangenen Woche, die Afghanistan-Mission sei nicht gemeint gewesen.

Kanzlerin schwieg zu Afghanistan-Äußerungen

Der Bundespräsident gab seinen Rückzug am Montagmittag bei einer kurzfristig anberaumten Pressekonferenz im Berliner Schloss Bellevue bekannt. Während der Erklärung stand Ehefrau Eva Luise an der Seite des erst vor einem Jahr wiedergewählten Staatsoberhaupts. Beim Verlesen des kurzen Statements standen ihm Tränen in den Augen. Streckenweise versagte ihm die Stimme. Nach Berichten von Augenzeugen verließ Köhler sofort nach seiner Stellungnahme den Amtssitz Schloss Bellevue in einem Wagen.

Köhler teilte seinen Entschluss auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dem Vizekanzler Guido Westerwelle (FDP) und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, mit. Merkel hatte am Freitag über eine Sprecherin deutlich gemacht, dass sie zu den Äußerungen Köhlers keine Stellung nehmen will. Im übrigen habe Köhler seine Äußerungen präzisieren lassen. "Und dem ist nichts hinzuzufügen."

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Schwarz-gelbe Mehrheit

Horst Köhler war seit dem Jahr 2004 Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Im vergangenen Jahr wurde er in der Bundesversammlung mit den Stimmen von Union und FDP wiedergewählt. Die Bundesversammlung besteht aus den Abgeordneten des Bundestages sowie einer gleich großen Anzahl von Delegierten, die von den 16 Länderparlamenten bestimmt werden. Nach Expertenangaben haben Union und FDP in der Versammlung gegenwärtig eine komfortable Mehrheit von 647 der 1.244 Sitze. Die Koalition könnte somit einen Kandidaten aus ihrem Lager zu Köhlers Nachfolger wählen.

Wer von Regierung und Opposition ins Rennen um die Bundespräsidentschaft geschickt wird, ist noch völlig offen. Der neue niedersächsische SPD-Vorsitzende Olaf Lies brachte die ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann als mögliche Nachfolgerin Köhlers ins Spiel gebracht. "Nun ist es an der Zeit, dass jemand, der die Sorgen und Nöte der Menschen fest im Blick hat, wie zum Beispiel Margot Käßmann, dieses Amt ausfüllt", sagte Lies. Käßmann war nach einer Alkoholfahrt im Februar als hannoversche Bischöfin und EKD-Ratschefin zurückgetreten.

Lammert, Schäuble, Schwan

In CDU-Kreisen wurden als mögliche Kandidaten Bundestagspräsident Norbert Lammert und Finanzminister Wolfgang Schäuble genannt. Auch der amtierende nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers, Bundesbildungsministerin Annette Schavan und Integrationsbeauftragte Maria Böhmer gelten als geeignet. Seitens der SPD könnte die zwei Mal gegen Köhler unterlegene Präsidentin der Viadrina-Universität in Frankfurt (Oder), Gesine Schwan, erneut antreten.

"Ich möchte Bundespräsident aller Deutschen sein, und ein Präsident für alle Menschen, die hier leben", hatte Horst Köhler vor sechs Jahren bei seiner ersten Wahl verkündet. Am 23. Mai 2009 sprach die 13. Bundesversammlung in Berlin dem ehemaligen Banker das Vertrauen aus und wählte ihn für eine weitere Amtszeit im Schloss Bellevue wieder. Mit "Arbeit, Bildung, Integration" umschrieb Köhler in seiner Dankesrede vor einem Jahr umgehend Themen, die ihm und der Bevölkerung gleichermaßen wichtig erschienen.

Erster Nicht-Politiker in Bellevue

2004 kam mit Köhler erstmals ein Nicht-Politiker ins höchste Staatsamt. Anders als seine Vorgänger war er nicht in ein politisches Netzwerk eingebunden. Dies ließ ihn oft auch unabhängiger agieren. Denn der 1981 in die CDU eingetretene Köhler war nie Parteimensch. Auch wenn es für seine Kritiker den Anschein hatte, agierte er im Schloss Bellevue nicht als Statthalter der Union. Mit öffentlichen Einlassungen zur Tagespolitik verärgerte er manches Mal auch Unionspolitiker. Recht bald nach seiner Wiederwahl wurde Köhler von Kritikern mangelnde Präsenz in der Öffentlichkeit vorgeworfen.

Dass der jetzt 67-Jährige, der mit seiner Frau Eva Luise (Foto: dpa) zwei Kinder hat, einmal erster Mann im Staate werden würde, war nicht abzusehen. Köhler wurde am 22. Februar 1943 im damals von deutschen Truppen besetzten polnischen Skierbieszow geboren. Die Familie floh vor der Roten Armee, kam ins schwäbische Ludwigsburg. In Tübingen studierte Köhler Wirtschaft, promovierte, ging nach Bonn und stieg im Bundesfinanzministerium auf bis zum Staatssekretär. 1992 wechselte er an die Spitze des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes, später zur Osteuropabank in London und im Mai 2000 als Direktor zum Internationalen Währungsfonds (IWF) nach Washington.

Strategischer Plan von Union und FDP

Dass er 2004 nominiert wurde, war Teil eines strategischen Plans. Als die Vorsitzenden von CDU und FDP, Angela Merkel und Guido Westerwelle, den damals weithin unbekannten Köhler nominierten, spekulierten sie auf eine schwarz-gelbe Koalition nach der Bundestagswahl. Köhler kam ins Amt, aber die Koalitionspläne gingen 2005 nicht auf. Auch 2009 stand das bürgerliche Lager hinter Köhler - Union, FDP und Freie Wähler aus Bayern.

dpa/epd/evangelisch.de