Machtpoker an der Moldau nach denkwürdiger Wahl
"Götterdämmerung" in Böhmen: Mit einem historischen Stimmenverlust für die Volksparteien und dem Rücktritt von gleich vier Parteichefs hat Tschechien ein politisches Erdbeben erlebt. Nach der Parlamentswahl vom Freitag und Samstag dürfte künftig ein Mitte-Rechts-Bündnis das Land regieren.
30.05.2010
Von Wolfgang Jung und Jakob Lemke

Zwar gewannen die Sozialdemokraten (CSSD) die Parlamentswahl vor der konservativen Demokratischen Bürgerpartei (ODS). Weil es aber für ein Bündnis aus CSSD und Kommunisten (KSCM) nicht reicht, gilt nun eine Mitte-Rechts-Koalition als wahrscheinlich. Der von der Prager Presse als "siegreicher Verlierer" bezeichnete CSSD-Chef Jiri Paroubek trat nach dem Wahlsieg zurück. "Tschechiens politische Szene steht vor dem stärksten Umbruch seit 1989", sagte der Politologe Tomas Lebeda.

Bereits am Sonntag führte ODS-Chef Petr Necas in Prag erste Gespräche. Mit seinem Wunschpartner Radek John besprach er im Restaurant "Zur Goldenen Quelle", das einst dem Astronomen Tycho de Brahe gehörte, wie die Sterne für ein konservatives Bündnis stehen. Der Ex-Fernsehreporter John zog mit der neuen Gruppierung VV (Öffentliche Angelegenheiten) auf Anhieb ins Parlament ein. Dritter Partner soll die liberale TOP 09 des populären Ex-Außenministers Karel Schwarzenberg sein, die ebenfalls beim ersten Mal den Sprung ins Abgeordnetenhaus schaffte. "Schon in ein, zwei Monaten kann ein solches Bündnis stehen", sagte Necas.

Dramatischer Stimmenverlust für Volksparteien

Die Schlagzeilen und politischen Diskussionen in Prag beherrschte aber der dramatische Stimmenverlust für CSSD und ODS. Von zusammen 70 Prozent bei der Parlamentswahl 2006 stürzten die Volksparteien auf 42 Prozent. "Die Botschaft ist klar: Die Tschechen wollen neue Gesichter und neue Parteien", kommentierte am Sonntag die Zeitung "Nedelni Blesk". Besonders hart bestraft wurden die kleineren bisherigen Regierungsparteien Christdemokraten (KDU-CSL) und Grüne (SZ), die sogar unter der Fünf-Prozent-Hürde blieben. Ihre Vorsitzenden nahmen wie Paroubek ihren Hut. Auch der frühere Ministerpräsident Milos Zeman trat nach einem Misserfolg seiner neuen Partei SPO zurück.

"Entscheidend waren junge Wähler, und die hat der brutale Wahlkampf der großen Parteien abgestoßen", sagte der Prager Politikwissenschaftler Michal Klima. Er sprach von einer "Krise der Eliten, die zu lange an den Fleischtöpfen eines Regierungsamtes saßen". Die Partei TOP 09, deren Name die Abkürzung für die tschechischen Worte Transparenz, Verantwortung und Prosperität ist, habe sich erfolgreich als frische Alternative zur ODS präsentiert, sagte der Politologe Lebeda. Der CSSD habe Paroubeks konfrontativer Stil geschadet. Insgesamt wurden nur 86 Abgeordnete wiedergewählt. Damit bekommt das Parlament mit 200 Sitzen ein völlig neues Gesicht.

Schwerer Stand für möglichen Regierungschef

Paroubek ist der erste Sieger einer tschechischen Parlamentswahl, der es danach nicht in das Amt des Regierungschefs schafft. Völlig unbekannt ist dies in der Region nicht: In Tschechiens Bruderstaat Slowakei schmiedete der Christdemokrat Mikulas Dzurinda mehrfach trotz Wahlniederlagen ein stabiles Regierungsbündnis. Sollte Necas dies gelingen, wird er es als möglicher Regierungschef nicht leicht haben. Parteiintern hat er nach dem schlechtesten Wahlergebnis der ODS-Geschichte einen schweren Stand. Und in einer Mitte-Rechts-Koalition hätte er selbstbewusste Partner.

Zum einen Karel Schwarzenberg, den die Tschechen 2007 bis 2009 als unbestechlichen Außenminister schätzen gelernt haben. Der 72-jährige Adelige machte TOP 09 bei der Wahl zur stärksten Partei im Prager Stadtgebiet, das 20 Jahre lang eine ODS-Hochburg war. Und VV-Chef John, der sich als investigativer TV-Journalist einen Namen machte, pflegt sein Image als unangepasster Rebell. Wie Schwarzenberg trat er im Wahlkampf für mehr Haushaltsdisziplin ein und gewann mit dem Versprechen "Kampf gegen Korruption" viele Stimmen. Beiden kleineren Kräften dürfte das Schicksal der bisherigen ODS-Partner eine Warnung sein: Sie scheiterten an der Fünf-Prozent-Hürde, weil sie zu viele Kompromisse eingingen.

dpa