Für den 31. Mai ruft eine Internetseite zum kollektiven Ausstieg aus dem Netzwerk auf, und es sieht so aus, als fiele dieser Ruf bei vielen auch intensiven Facebook-Nutzern auf fruchtbaren Boden. Evangelisch.de-Autor Thomas Östreicher ist einer davon.
Zwei Jahre hatte ich meinen Account nur zur Recherche benutzt. Ein Radiobeitrag über den Siegeszug des Netzwerks überzeugte mich dann davon, aktives Mitmachen sei quasi lebensnotwendig - und mein Mailprovider web.de, der mir ständig ungefragt mitteilte, der Absender XY sei "auch bei Facebook". Woher wussten die das? Erst habe ich gestaunt, inzwischen finde ich's gruselig.
Ende 2009 ging es los. Ich habe alle meine Adressbuch-Kontakte darauf abgeklopft, ob sie "auch bei Facebook" sind, und einige Dutzend Bekannte avancierten zu Freunden. Bzw. zu "Freunden". Von denen habe ich mit einem Schlag oft täglich Neues erfahren. Eine befreundete Freiberuflerin, eine durchaus erwachsene Frau mit eigener kleiner Firma, postet mindestens einmal am Tag nahezu alles, was ihr an Veranstaltungen, Sinnsprüchen, lustigen Videos, Cartoons, Links, Meinungen und sonstigem Datenmüll in den Sinn bzw. im Netz so unterkommt. Allein das alles auf meiner Startseite sehen zu müssen, nervt mich schon unsäglich. Wahrscheinlich kann man diese Flut verringern, aber wie für alle Facebook-Einstellungen muss man sich auch dafür einen langen Abend Zeit nehmen. Keine Lust.
Das ist mein Hauptargument gegen Facebook: Es ist ein 1A-Zeitfresser. Ich will aber nicht, dass jemand meine Zeit frisst!
Es kostet unglaublich viel Zeit, sich durch die Einstellungen zur Privatsphäre, die Facebook bietet, zu wühlen. Und Facebook – das ist der große Vorwurf – macht es bewusst schwer, trotz anderslautender Beteuerung des Netzwerk-Gründers Mark Zuckerberg, 26 Jahre alt. Dabei war es Zuckerberg, der Anfang des Jahres die Privatsphäre als überholtes Konzept bezeichnete. Monate später ruderte er zurück, denn offensichtlich hatte er nicht mit dem Widerstand der Community gerechnet und sein Publikum falsch eingeschätzt.
Grund Nr. 2: Facebook ist wie Scientology. Wer dabei ist, drängt andere dazu, ebenfalls Mitglied zu werden. Der Kontakt zu Nicht- Sektenmitgliedern wird eingeschränkt und möglichst ganz eingestellt. Das kenne ich schon: Irgendwann schlief mein Kontakt zu den Menschen ein, die nur selten ihre Mails checken - was sogar meine Mutter mit ihren fast 77 Jahren täglich tut. Ich gebe auch zu, dass es mich etwas stört, dass nicht alle, die ich kenne, unterwegs Mails empfangen und senden können (und wollen).
Die Daten, die die User freiwillig in Facebook eintragen, sind das größte Kapital des Netzwerks. Denn Facebook verdient Geld mit Werbung, und die lässt sich umso besser verkaufen, je genauer man das gewünschte Publikum ansteuern kann. Wer in seinem Facebook-Profil sämtliche Vorlieben dem ganzen Internet mitteilt, ist natürlich gefundenes Fressen für die Werber. Und das lässt sich auch Facebook nicht entgehen.
Grund Nr. 3: Mit Facebook kann ich nicht differenzieren. Einige meiner "Freunde" sind Freunde, andere Bekannte, andere Freunde meiner Bekannten. Will ich all denen gleichermaßen meinen jüngsten beruflichen Erfolg kundtun oder verraten, wie hinreißend George Clooney zuletzt aussah? Nein!
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Es gibt eine vieldiskutierte Grafik im Netz, die die Entwicklung nachzeichnet, die Facebook genommen hat. Sie zeigt, dass Facebook seinen Usern immer offenere Standard-Einstellungen vorgegeben hat, bis dahin, das ganze Internet mit den eigenen Daten zu versorgen. Vielleicht ist es aber nicht nur wirtschaftliches Interesse, das Facebook so weit getrieben hat. Blogger, Internet-Guru und Google-Apologet Jeff Jarvis, der sonst (in Sachen Google) nicht auf der Seite des Datenschutzes steht, hat dazu eine plausible These: Die Facebook-Macher verwechseln "sharing", also das Mitteilen an eine selbstbestimmte Gruppe, mit "publishing", also dem Veröffentlichen für eine breite, nicht selbst kontrollierte Öffentlichkeit. Das ist durchaus denkbar. Das macht es aber nicht besser, denn die Vision des Internets als allverfügbarer Datenspeicher, der alles herausschleudert, was man selbst einstellt, ist und bleibt erschreckend – sie geht gegen die informationelle Selbstbestimmung, ein Vorwurf, der übrigens auch im Kern der Kritik an Google steht.
Was mir meinen Ausstieg jetzt erleichtert hat war der Umstand, dass ich mit Ende 40 ein sehr, sehr alter Mann bin, der überwiegend andere senile Senioren kennt. In dieser Gruppe ist Facebook nicht so zwingend wie bei meiner 15-jährigen (nun Ex-)Facebook-Freundin Lina, die ohne Facebook von der Welt nichts mitbekommt. E-Mails, Telefon gar? Was war das noch mal?
Ich habe jetzt einen neuen Facebook-Account. Mit falschem Namen. Zum Recherchieren.
Thomas Östreicher ist freier Mitarbeiter bei evangelisch.de und Facebook-Aussteiger. Hanno Terbuyken ist Redakteur bei evangelisch.de und nach wie vor ein Facebook-Nutzer, der seine Privacy-Einstellungen allerdings alle zwei Monate überprüft.