Afrika: Warum die Hilfe zum Fluch werden kann
Nach 50 Jahren Entwicklungshilfe ziehen Fachleute ein negatives Fazit. Gerade in Afrika sei die Unterstützung durch den Westen ein gefährlicher Irrweg, ja zum Teil eine "tödliche Gefahr". Sie fördere Korruption und eine Bettlermentalität in den Empfängerstaaten, zudem werde ein großer Anteil der Hilfsgelder fehlgeleitet. Stattdessen erklingt der Ruf nach einer Öffnung der westlichen Märkte vor allem für landwirtschaftliche Produkte.
28.05.2010
Von Eva Krafczyk und Laszlo Trankovits

Nicht nur Diamanten oder Öl gelten als "Fluch Afrikas", die den Menschen Kriege, Kämpfe und Korruption bescheren. Auch die Entwicklungshilfe halten viele Experten für einen "noch schlimmeren Fluch". Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie namhafter Ökonomen, unter ihnen Ex-Weltbanker Simeon Djankow, heute Finanzminister Bulgariens. Den Menschen geht es schlechter und die Demokratie leidet, so verkürzt die Erkenntnis ihrer Untersuchung der Entwicklungshilfe in 108 Staaten seit den 1960er Jahren.

"Hilfe ist wie Öl, sie erlaubt mächtigen Eliten, öffentliche Einnahmen zu veruntreuen", schrieb der Ökonom Paul Collier aus Oxford. "Der verheerende Drang, Gutes zu tun, untergräbt die Entwicklung eines kompetenten, unbestechlichen Staatsapparats und unterstützt stattdessen Regimes, die raffgierig, faul und größenwahnsinnig sind", so der Ex-Spitzendiplomat und Afrikakenner Volker Seitz in seinem Buch "Afrika wird arm regiert". Der Gedanke der Entwicklungshilfe steht zunehmend am Pranger - in Afrika hat sie kaum funktioniert. Verteidiger der Entwicklungshilfe klagen über "Hilfspessimismus". Der aber wächst in den vergangenen Jahren immer mehr.

Unterstützung durch Bono und Bob Geldorf

Noch kämpfen zwar Regierungen und Experten, unterstützt von Popstars wie Bono und Bob Geldorf, für die Einhaltung von Minimalzielen für Entwicklungshilfe. Schließlich haben die Industrieländer früher einmal 0,7 Prozent ihres Bruttosozialprodukts für Dritte-Welt-Hilfe angepeilt. Inzwischen ist das Ziel so gut wie aufgegeben. Selbst weit bescheidenere Hilfszusagen, etwa vom G8-Gipfel im schottischen Gleneagles 2005, sind bei weitem nicht erfüllt worden - auch nicht von Deutschland.

Es gibt in Afrika sicher genug Regierungen, die nach Hilfe rufen und lechzen. Viele Fachleute sehen darin aber einen gefährlichen Irrweg. Der britische Ökonom Peter Bauer hatte schon vor Jahren bezweifelt, dass Gelder, Experten und guter Wille hilfreich seien. Sie dienten vielen Regierungen Afrikas nur dazu, "abstruse Ziele" zu verfolgen, die Korruption anzukurbeln und Investoren abzuschrecken.

Asien profitiert, Afrika fällt zurück

In den 50 Jahren Entwicklungshilfe flossen Schätzungen zufolge zwischen 500 Milliarden und zwei Billionen Dollar nach Afrika. Aber das Ergebnis scheint vielen niederschmetternd. Während vor allem asiatischen Entwicklungsländern ein rasanter Sprung nach vorne gelang, meist mit wenig Hilfen von außen, fiel Afrika immer weiter zurück. Auch die beeindruckenden Wachstumszahlen Afrikas in den letzten Jahre haben wesentlich die Entdeckung und bessere Ausbeutung der üppigen Rohstoffe zum Hintergrund - weniger eine solide Ökonomie.

Der kenianische Wirtschaftsexperte James Shikwati plädiert für eine radikale Abkehr des Konzepts der Entwicklungshilfe. Sie habe Afrika nur abhängig gemacht und Machtstrukturen verfestigt, von denen wenige profitierten. Die westliche "Hilfsindustrie" stärke lediglich tyrannische Herrscher und Korruption. Markt, freier Handel und Eigeninitiative würden erstickt, Bürokratie und Dirigismus gemästet. Ohne funktionierende Märkte, ohne demokratische, rechtsstaatliche Grundlagen könne es keine Entwicklung geben. Die Publizistin Akua Djanie warnte vor einer gefährlichen "Bettlermentalität", die drohe, die gesamte soziale Ordnung Afrikas zu durchdringen.

Auch die Ökonomin Dambisa Moyo will "Markt statt Almosen", Hilfe hält sie für eine "tödliche Gefahr": Entwicklungshilfe sei die Wurzel vieler Übel Afrikas, eine Ursache dafür, dass es dem Kreislauf von Korruption, Krankheiten, Armut und Abhängigkeit noch immer nicht entkommen ist. "Entwicklungshilfe produziert Inflation, Schulden, Bürokratie und Korruption", sagt sie. Nur humanitäre Hilfe bei Katastrophen oder karitative Hilfe im Kampf gegen Krankheiten seien akzeptabel.

Örtliche Hersteller gehen pleite

Als Beispiel für die verheerenden Folgen von westlicher Hilfe zitiert Moyo gerne die Spenden von Moskitonetzen - was örtliche Netzhersteller in die Pleite treibt. In sehr viel größeren Ausmaß gilt diese Gefahr für die Lieferung von Lebensmitteln und Kleidung nach Afrika, die oft genug Kleinbauern und Handwerker vor Ort resignieren ließ. "Das fundamentale Problem ist, dass die Entwicklungshilfe keine Jobs geschaffen hat, sondern das Gegenteil bewirkte, sie zerstörte."

Afrikas Staaten benötigen nach Moyas Thesen vor allem Investitionen, die aber gebe es nur bei stabilen Verhältnissen. Das System der Entwicklungshilfe sei da ein Hemmnis. Innovationen und Fleiß würden in Empfängerländern nicht belohnt, Fehlverhalten nicht bestraft, so die streitbare Finanzexpertin. Eine Weltbank-Studie belege, dass 85 Prozent der Hilfsgelder fehlgeleitet würden. Tatsächlich bestreitet niemand, dass selbst die berüchtigten Diktatoren Afrikas von Idi Amin über Mobutu Sese Seko und Robert Mugabe sich auch an Hilfsgeldern bereicherten.

Alternative: Öffnung der Märkte

Bei der Frage nach Alternativen zur Entwicklungshilfe gibt es eine erstaunliche Einigkeit: die Öffnung der europäischen und amerikanischen Märkte vor allem für landwirtschaftliche Produkte, Aufgabe der Agrarsubventionen in den Industrieländern. Davon nämlich würde Afrika massiv profitieren. Letztendlich kommt fast jeder - ob Politiker oder Experte zu der Erkenntnis, dass «Afrikas Probleme von Afrikanern gelöst werden müssen», so der ghanaische Ökonom George Ayittey. "Die Zukunft Afrikas liegt bei den Afrikanern", betonte auch US-Präsident Barack Obama bei seinem Besuch in Ghana 2009.

dpa