Jetzt hat das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, also die 2. Instanz, das Gebet muslimischer Schüler in Berlin außerhalb des Religionsunterrichts für unzulässig erklärt. Gewiss, Berlin ist ein Sonderfall, zumal der Religionsunterricht dort nicht Teil des ordentlichen Lehrplans ist, sondern allein in Verantwortung der Religionsgemeinschaften in den Räumen der Schule erteilt wird.
Man kann streng laizistisch im demokratischen Staat durchaus der Meinung sein, dass religiöse Äußerungen und Symbole nicht in die Schule gehören, aber in der Bundesrepublik Deutschland hat sich eine gemeinsame pädagogische Verantwortung von Kirche und Staat so entwickelt, dass Werte-Erziehung nicht von der Religion absehen kann oder, vielmehr dass gerade die Frieden stiftenden Kräfte der Religionen auch dem Schulklima gut tun.
Schule schadet eigenem pädagogischen Auftrag
Wenn muslimische SchülerInnen in der Schule (außerhalb des Unterrichts wohlgemerkt) beten wollen, warum nicht? Es gibt immerhin auch christliche Schüler und Schülerinnen, die in der Schule beten wollen. Aber eigentlich geht es um mehr, als nur irgendeinen Klassenraum für die Möglichkeit des Betens aufzuschließen.
In unserer Republik haben auch staatliche beziehungsweise staatlich anerkannte Schulen Räume im Schulgebäude eingerichtet, in denen Schüler und Schülerinnen verschiedener Konfessionen und Religionen allein oder miteinander meditieren oder beten können. Eine Schule, die sich solchen religiösen Einflüssen verweigert und ihren SchülerInnen spirituelle Möglichkeiten nimmt, schadet ihrem eigenen pädagogischen Auftrag. Wenn nämlich das Gebet per Gerichtsbeschluss erlaubt oder verboten wird, haben beide verloren: Die Betenden und die Schule.
Wer Religion mit staatlichen Mitteln durchsetzen will, macht die Schule zum Kampfplatz unterschiedlicher gesellschaftlicher Kräfte, mehr laizistisch oder mehr fundamentalistisch. Die schädliche Wirkung ist unvermeidlich. Damit stehen die Kräfte der Religion(en) für eine Erziehung auch zum (gesellschaftlichen) Frieden schlecht. Wir brauchen in einer Gesellschaft, die nicht selten genug die Leistung auf Kosten anderer lohnt, Werte, die gerade die Religionen vertreten, und zwar als Sinn- und Lebensorientierung.
Oase der Stille im hektischen Schulbetrieb
Die staatliche Schule wäre gut beraten, nicht nur den muslimischen Schülern und Schülerinnen, sondern auch denen anderer religiöser Traditionen Räume für Meditation und Gebet zu eröffnen. In einem durch Einwanderung multikulturell und multireligiös gewordenen Land wie der Bundesrepublik sollte auch die Schule diese Vielfalt positiv spiegeln. Für Meditation und Gebet sollte es einen Raum geben, wo die Suchenden eine Oase der Stille im hektischen Schulbetrieb finden. Es sollte ein Ort sein, an dem die Seele eines jeden spirituell ankommen kann.
Wie man solche Räume ausgestaltet, ist eine Frage, die mit den Beteiligten geklärt werden sollte. Ob in einem solchen Raum überhaupt spezielle religiöse Symbole zu finden sind, oder nur ein "Lichtpunkt" die Richtung weist, mögen diejenigen entscheiden, die diesen Raum nutzen wollen. Die Schule sollte nicht nur für eine Religion Platz haben, sondern für alle, aber für alle gemeinsam. Es gibt genügend Beispiele aus Krankenhäusern, Rathäusern, Kulturzentren, Flughäfen und so weiter, an denen sich lernen lässt, wie gerade das Gebet Menschen unterschiedlicher Glaubensweisen verbindet und gesellschaftliche Verantwortung freisetzt.
Dr. Reinhard Kirste ist evangelischer Pfarrer und arbeitet unter anderem für rpi-virtuell. Kirste koordiniert zudem die Aktivitäten der Interreligiösen Arbeitsstelle (INTR°A) in Nachrodt (Westfalen) und hat einen Lehrauftrag an der TU Dortmund.